Es sind schon extrem unterschiedliche Formate, die der theatererfahrene Axel Milberg bedient: Vom Tatort mit Lars Eidinger bis zur Familienkömödie „Familie Bundschuh“ mit der Autorin der Romanvorlagen, Andrea Sawatzki. tittelbach.tv hat es auf den Punkt gebracht: Die Vorhersehbarkeit gehört hier zum Konzept (Link) . Ein Interview mit Hauptdarsteller Axel Milberg über Vorbereitung, Komödie, Improvisation und Intimität.
In der Vorbereitung zu diesem Gespräch in Folge „Familie Bundschuh – unter Verschluss“ habe ich beispielsweise noch einmal die Tatort-Folge „Borowski – Der Fluch der weißen Möwe“ gesehen, und mich gefragt: Kann es gleichermaßen erfüllend sein, diese so unterschiedlichen Formate, auch die Borowskis mit Lars Eidinger, und auf der anderen Seite Montagskomödien wie „Familie Bundschuh“ zu spielen?
Die Antwort wird sie wenig überraschen. Die Vielseitigkeit ist ja der Genuss in meinem Beruf. Und das war zum Glück von Anfang an so. Ich könnte es lustig sagen, aufgrund einer angeborenen Ich-Schwäche habe ich die Möglichkeit das eine und das andere zu machen, bin nicht festgelegt. Die Familie Bundschuh hilft da, unterschiedlich wahrgenommen zu werden. Ist aber kein Plan.
Welche Verschiedenheit meinen Sie konkret?
Die Verschiedenheit der Rollen, die ich spielen kann, sichtbar zu halten. Tatort ist ja eine sehr präsente Geschichte – die Bundschuhs aber auch und es ist gut, dass beides wahrgenommen wird.
Erfordert es für Sie mehr/weniger Vorbereitung, in die komödiantische Rolle und die zahlreichen Einzelstücke einzutauchen – gegenüber einer durchgehenden Tatort-Figur, die sich aber ja auch verändert?
Der Aufwand ist irgendwie immer gleich, denn der bezieht sich auf das was mir vorliegt. Und das ist ja nicht die Figur in einer theoretischen Illusion, sondern sehr konkret, was eben im Drehbuch steht. Der erste Moment des Lesens ist schon sehr wichtig, erlebe Szene für Szene und hoffe, überrascht zu werden. Nicht auf eine Schiene gesetzt zu werden, wo ich mich beim Umblättern langweile, weil ich weiß, wie es weitergeht.
Die Komödie bedeutet ja auch nicht, „jetzt spielen wir komisch“, sondern die Komödie ist ja voller Verzweiflung und Kampf. Nur die Perspektive des Zuschauers ist eine andere. Der Kampf resultiert ja daraus, dass die Figuren sich anders einschätzen als sie sind. Sie überschätzen sich, lügen oder sind gefangen in einer Illusion. Meiner Figur Gerald in „Familie Bundschuh“ zum Beispiel fehlt jede Autorität, aber er versucht es immer wieder. Wie jemand, der aufs Gaspedal drückt, obwohl der Leerlauf drin ist. Hinter der Komödie steckt bei allen Figuren große Not. Wären wir klüger, gäbe es keine Komödie. Ich werde so oft von Zuschauern angesprochen auf die „Bundschuhs“, weil sie sich da wiedererkennen und über die eigenen Schwächen lachen und darüber, dass das in der eigenen Familie genauso ist.
Ich habe eine ganz interessante Kritik zu den Bundschuhs bei „Tittelbach“ gelesen, der beschreibt, dass die Vorhersehbarkeit bei diesem Format das Programm ist, dass sie kein Manko ist, sondern, dass man sich schon vorab darüber freuen kann, zu sehen „bei denen läuft es genauso wie bei mir“.
Das ist gut beobachtet! Danke Tittelbach, weil ich beim Lesen des Drehbuchs manchmal diese Vorhersehbarkeit erkenne und ändern will – dann aber bei den Gesprächen erkenne, dass die Vorhersehbarkeit ein Teil des Lebens dieser Figuren ist. So wie wir generell in Begrenztheiten leben, durch die Gesellschaft, die Familie, aber auch durch die physische und geistige Begrenztheit in uns selber. Wir rütteln an den Ketten aber wir können sie nicht lösen und machen gerne andere dafür verantwortlich.
Die Vorlage für die Familie Bundschuh stammt ja von der Mitspielerin Andrea Sawatzki. Wäre das auch ihre Sache? Sie haben ja schon erfolgreich literarische Erfahrungen gesammelt (der Roman „Düsternbrook“ thematisiert Axel Milbergs Kindheit im gleichnamigen Kieler Stadtteil, Red.) . Aber etwas zu spielen, was sie selber geschrieben haben, wäre das etwas, was sie reizen würde?
Vielleicht. Ich habe darüber noch nicht nachgedacht. Sollte meine Kindheit verfilmt werden, würde ich meinen exzentrischen Patenonkel spielen.
Nach eineinhalb Jahrzehnten intensiver Arbeit an den Kammerspielen, kann ich es mir schwer vorstellen, dass kein Drang besteht, wieder auf die Bühne zu gehen. Ist da bei Ihnen trotzdem so oder liegt es nur an der Unmöglichkeit, neben den vielen Drehengagements auch noch Theater zu spielen?
Ich will ungern in die Zukunft hinein phantasieren. Die Theaterliteratur und die Theaterarbeit waren etwas Großartiges. Das habe ich intensiv genossen und auch gekämpft auf Proben und in den Vorstellungen, dem gerecht zu werden, was dort entstehen muss. Im Moment bin ich aber mit anderen Dingen beschäftigt.
Habe ich das zwischen den Zeilen richtig interpretiert? Dass sie die Arbeit an den Figuren geliebt haben, aber die Welt des Theaters im Gegensatz zur Filmwelt vermissen sie nicht?
Es werden ja nicht nur Stücke gespielt, es werden ja auch Stücke erfunden, von Regisseuren. Ich habe gerade noch einmal ein Çechov- Stück gelesen, auch Ibsen. Nur gelesen. Das bleibt ja als Erfindung in dieser Welt. Was mir im gegenwärtigen Theater selten begegnet, das ist die Erfindung von Figuren. Aber das ist ja kein Malheur sondern Absicht. Zum Teil werden Vorlagen zerdöppert und zerschlagen, was dann entsteht, ist selten stärker. Aber bitte. Das ist eine Form von Theater, die es wahrscheinlich auch schon gegeben hat, als ich Theater gespielt habe, wir haben nur an anderen Dingen geforscht.
Nach einer Arbeit mit Dani Levi („Der Liebling des Himmels“) haben Sie beschrieben, dass er überhaupt nicht probt. Kommt Ihnen als gut vorbereitetem Schauspieler das entgegen?
Absolut. Auch weil ich dazu neige, jedes Mal etwas anderes zu machen. Diese Festlegung auf genau so und nicht anders fällt mir schwer, weil ich die Rolle immer weiter spielerisch erlebe.
Also, wenn Sie proben, kann schon etwas weg sein, was sonst hätte entstehen können?
Es entsteht dann etwas anderes. Beim Proben erleben wir ja etwas, miteinander. Dann ist es entweder wunderbar – das ist es auch schwer zu wiederholen – oder es knirscht. Also anders, schnell, langsam, weich, hart, etwas verraten oder vollkommen dichtmachen, jemandem in die Augen sehen oder woanders hin, es für mich sagen oder in den Dialog gehen, da gibt es ja tausend Möglichkeiten, aber keine Zeit! Die rasche Festlegung ist notwendig. Der Regisseur will es wissen, auch der Ton fragt, sagst Du den Satz jetzt da am Auto oder erst in der Tür? Wenn ich antworte, „weiß ich nicht, mal gucken“, dann wird es schwierig für alle. Es ist eben auch Teamarbeit und doch: eine gewisse Freiheit braucht der Spieler, was aber meist kein Problem ist. Sonst muss man diese verteidigen.
Sie haben ja kürzlich erstmals mit ihrem Sohn gespielt, da will ich jetzt gar nicht auf die Vater-Sohn-Konstellation eingehen. Aber er kann ja mit 15 vor der Kamera noch nicht ausgebildet gewesen sein. Erleben Sie vor der Kamera einen qualitativen Unterschied, wenn sie mit Theaterprofis arbeiten oder mit SchauspielerInnen, die ohne Ausbildung ans Set gekommen sind?
Ja sicher, da gibt es einen Unterscheid. Theaterschauspieler haben grundsätzlich mehr Möglichkeiten. Die Theatererfahrung ist die Grundierung für die Filmarbeit. Das Training der Theaterproben gibt einem überhaupt den Reichtum an Möglichkeiten, die Phantasie für die körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch das wirkliche Verstehen von Texten und dem erlebten Sprechen – und das Bewusstsein für Wirkungen. Die Freude darüber, aus der gleichen Erfahrungswelt des Theaters zu kommen, darf aber auch nicht dazu führen, dass man dann zu viel theoretisch redet, dann auch mal schweigen und die Szene entstehen lassen, sie erleben.
Es gibt ja einen Trend zu improvisierten Drehs mit Drehbüchern ohne vorgeschriebenen Dialog. Ist das „ihr Ding“?
Sie meinen, was zum Beispiel Jan Georg Schütte macht?
Zum Beispiel, aber so arbeiten ja auch andere RegisseurInnen.
Ist doch toll! Da gibt es natürlich auch Verabredungen über die Figuren und deren Begrenzungen. Ich würde das gerne machen und schauen, dass ich mich nicht zu sehr selber spiele. Dann fände ich das spannend. Dann kann das große Überraschungen und Glaubwürdigkeit mit sich bringen. Das haben ja John Cassavetes und andere auch schon früher gemacht. Da braucht es – denke ich – zur Freiheit des Spiels eine strenge Gegenkraft.
Manchmal erlebe ich solche Szenen als etwas beliebig, da wirken Dialoge nicht so dicht, als wenn sie geschrieben wären.
So ist es. Da gibt es auch unterschiedliche Begabungen. Manchmal können das hochdekorierte Schauspieler weniger als andere, die frei drauf los reden und herrlich spontan sind. Das bekommt dann einen enormen Platz im Film. Ich schätze aber auch Pausen und Ratlosigkeit, Abbrüche, wenn man merkt, das führt jetzt nicht weiter. Da ist auch viel Glück und Tagesform dabei.
An anderer Stelle des Magazins (in der kommenden Ausgabe IV/2022, Red.) geht es um das Thema Intimacy Koordination. Haben Sie damit am Set Erfahrungen gemacht?
(Am plastisch zitierten Beispiel von Nicholas Roegs Meisterwerk „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, in dem Donald Sutherland und Julie Christie zwischengeschnitten auch beim Anziehen nach dem ehelichen Beischlaf gezeigt werden, betont Axel Milberg:)b Der Ehrgeiz, etwas Bekanntes ungewöhnlich zu erzählen, sollte sehr groß sein.
Ich muss gar nicht so viel Nacktheit „sehen“, wichtig ist zu entscheiden: Was will man erzählen, warum ist das im Film. Wie sich danach jemand anzieht, kann spannender sein als das davor.
Sie haben respektvolle Verabredungen über den Ablauf intimer Szenen auch früher erlebt, ohne dass es den Begriff dafür gab. Wer hat denn, da wo es in Ihrem Empfinden gut lief, die Verabredungen getroffen? Sie mit Ihrer Spielpartnerin oder die Regie oder Regieassistenz?
Der Regisseur mit den Beteiligten. Im Vorfeld hatte der Regisseur, die Regisseurin bereits Ideen mit dem Kameramann entwickelt. Vorschläge technischer, ästhetischer Art, die schützen und Sicherheit geben. Humor hilft auch immer. Es gibt ja auch handfeste Tricks.
Handfeste Tricks um was zu tun oder nicht zu tun?
Ach Herr Bauer, Sie wollen es aber genau wissen! Es gibt hautfarbene Minikissen und Minipolster, die man nicht sieht und die, wenn beide nackt sind, an den entsprechenden Stellen dazwischengeschoben werden.
Sexualität ist schwer zu spielen; es gehört viel Mut dazu, einen der intimsten Momente des Lebens vor der Kamera zuzulassen. Du musst vergessen, wie Du dabei aussiehst und welches Gesicht Du dabei machst. Und dann doch nicht vergessen. Wie Dieter Dorn am Theater es ausdrückte, ein „Schwimmer der Kontrolle“ ist notwendig. Diese Proppen bei der Spülung, die bei einem bestimmten Wasserstand wieder den Zulauf verschließen.
So ist ja eigentlich der ganze Beruf: Sich vergessen und nicht vergessen.
Interview Thomas Bauer

Foto: Jim Rakete
Geplatzte Urlaubsträume bei Familie Bundschuh: Gerald (Axel Milberg) und Gundula (Andrea Sawatzki) müssen ihre lang ersehnte Malediven-Reise absagen, als Hadi (Stephan Grossmann) einen Impfdurchbruch hat und an Covid-19 erkrankt. Die ganze Familie muss in Quarantäne. „Familie Bundschuh unter Verschluss“ ist seit Donnerstag, 25. August 2022, 10.00 Uhr, in der ZDFmediathek abrufbar.

Foto: ZDF/ Stefan Erhard