Mozart meets Harry Potter – so könnnte man zusammenfassen, was Regisseur Florian Sigl mit „The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte“ gelungen ist. Florian wer? Und damit beginnt schon das Unglaubliche an der Realisierung einer moderen Adaption des Opernstoffes im Gewande eines Familienfilms. Denn die internationale Millionenproduktion ist das Fiction-Debut eines Musikers und Werbefilmregisseurs. Ein spannendes Gespräch über Besetzung national und international, den Weg zu einem von Roland Emmerich produzierten Abenteurfilms zwischen vielen Genres – und die intensive Vorbereitung eines Regisseurs auf die Arbeit mit so unterschiedlichen Schauspielern und Musikern aus Deutschland und der Welt.
Kinostart in Deutschland und Österreich ist am 17. November 2022.
Herr Sigl, wenn ich ehrlich bin, kannte ich Ihren Namen aus dem Fiction-Bereich nicht.
Das wundert mich nicht.
Wenn man sich das anschaut, ist es eine eigentlich unglaubliche Geschichte, vom sehr erfolgreichen Werbefilm-Regisseur und –Produzenten ohne fiktionale Produktionen direkt zum Regisseur einer internationalen Kinoproduktion. Wie kam es dazu?
Das ist natürlich kein alltäglicher Weg. Ich hatte das Glück, dass ich zum einen in der Werbung sehr viel in den USA arbeiten durfte und dadurch das Filmsystem sehr früh kennen lernen konnte. Zum anderen habe ich eine klassische Musikausbildung gemacht, bevor ich beruflich mit Film in Berührung kam. Ich habe auch lange als Produzent gearbeitet und dabei die Arbeitsweise von vielen anderen Regisseuren kennengelernt. Der Zufall ist natürlich ein ganz großer Faktor: Dass die Produzenten, als ich sie auf der Berlinale kennengelernt habe, an so einem Thema waren, dass dann auch noch so ein Schwergewicht wie Roland Emmerich aufgetaucht ist und gesagt hat, das machen wir, das ist ein unfassbares Backing. Wenn jemand in der Größenordnung sein Vertrauen ausspricht, dann hilft das natürlich sehr.
Das heißt, Sie kannten Roland Emmerich aus anderen Zusammenhängen?
Nein, ich habe Christopher Zwickler kennengelernt und er erzählte mir, dass er die Zauberflöte machen wolle, nachdem er die Oper besucht hatte und festgestellt hat, dass es da gar kein Urheberrechtsproblem gibt. Er wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass ich mit klassischer Musik schon zu tun hatte. Ich war davon sofort begeistert und habe über Nacht einen Two-Pager, eine Outline geschrieben, wie könnte man das machen und Überlegungen angestellt was man tun müsse, um ein breiteres Publikum zu erreichen und an die Musik heranzuführen. Was ich nicht wusste, das war, dass Christopher Zwickler diesen Two-Pager an seinen Geschäftsfreund Roland Emmerich schickt. Er hat sich das durchgelesen und gesagt: Das machen wir. Das klingt unglaublich, ich hätte mir auch im Traum nie ausgemalt, dass mein erster Film gleich so ein Kaliber ist, dachte aber zugleich: So etwas passiert aus Deutschland heraus nur alle paar Jahrzehnte, das musst Du versuchen. Es wäre ein Jammer, nicht zu versuchen, Mozart näher an ein breites Publikum zu bringen.
Normalerweise bekommt aber doch an irgendeiner Stelle irgendjemand kalte Füße und fragt, kann der das denn? Ist das nie passiert?
In ganz frühen Stadien gab es mal Rückfragen, wer ist das denn, was hat er denn gemacht? Aber ich hatte dann immer das Glück die Leute persönlich kennenlernen zu können. Sobald wir uns über das Projekt unterhalten haben, war die Unterstützung da.
Können Sie mir etwas zum Budget sagen?
Ja, im unteren zweistelligen Millionenbereich, zwischen 10 und 12 Millionen. Durch Corona war manches plötzlich aufwändiger, wir mussten im Studio Dinge bauen, die wir eigentlich in Marokko drehen wollten.
Was sollte in Marokko gedreht werden?
Die ganzen Außenszenen wie den Markt, den Tempel von Zarastro. Es gibt in Marokko noch Sets, die erhalten sind, zum Beispiel aus den Fünfzigerjahren das Set von Cleopatra. Außerdem die Sets von Ridley Scott, zum Beispiel von seinem Jerusalemfilm („Königreich der Himmel“, Red.), wir hatten mit den Studios schon darüber gesprochen, wie wir die Sets umbauen. Leider hat der König von Marokko dann die Grenzen ganz zugemacht als Corona losging.
Also nicht die Aufnahmen, die dann in Teneriffa gedreht wurden?
Auf Teneriffa haben wir die Schlangenverfolgung gedreht, da war klar, das müssen wir in einem Außenmotiv drehen, das landschaftlich zu den leicht „ägyptischen“ Motiven der Zauberflöte passt, dafür bot sich dann Teneriffa auch deswegen an, weil es zur EU gehört und damit mehr Rechtssicherheit gegeben war.
Also wurde alles, was in Marokko nur umgebaut werden sollte, auf dem Bavariagelände neu gebaut?
Ja genau, komplett neu entworfen, wir haben drei sehr große und drei kleinere Sets komplett neu gebaut. Wir hatten in der Bavaria zwei bis drei Monate Bauphase. Das war auch für die Bavaria ein relativ großer Aufwand.
Wie besetzt man so eine internationale Produktion zwischen Film und Oper? Es mussten ja sicher gesangliche Qualitäten berücksichtigt werden, aber auch die schauspielerischen, die Typfragen und vermutlich aufgrund der Förderungen auch regionale Kriterien. Haben Sie OpernsängerInnen besetzt oder SchauspielerInnen und die Gesangspassagen eingefügt?
Alle DarstellerInnen singen sich selbst. Wir haben angefangen mit der Hauptrolle. Wir wussten, wenn wir für Tim/Prinz Tamino (Jack Wolfe) jemanden finden, der jung genug ist, dem man diese Geschichte wirklich glaubt und der ihn auch gesanglich füllen kann, dann haben wir eine gute Basis. Es gibt Rollen, die gesanglich so anspruchsvoll sind, die Königin der Nacht beispielsweise, da wussten wir: Da brauchen wir die besten Opernsänger, die es gibt. Meine Aufgabe als Regisseur ist es, denen das Bühnenhafte etwas wegzunehmen und ihnen die Welt des Films näherzubringen. Auf der anderen Seite steht ein überzeugender, junger Cast, der dennoch singen kann. Wir sind ein bisschen vorgegangen wie Mozart selbst. Als er die Zauberflöte geschrieben hat, hatte er schon ein festes Ensemble, dann kam Schikaneder, der die Geschichte geschrieben hat und sagte, er wolle auch mitspielen. Der konnte aber nicht so gut singen, dann hat Mozart den Papageno für ihn komponiert.
Wir haben uns dann bei jeder Rolle an den richtigen Mix aus gesanglichen und schauspielerischen Qualitäten herangearbeitet. Ich wusste natürlich, wenn die DarstellerInnen nicht wirklich gut spielen, dann hilft es bei einem Kinofilm gar nichts, egal wie gut sie singen.
Wie wurde diese Oper gedreht, auf Englisch, auf Deutsch oder jeder in seiner Sprache?
Auf Englisch. Es gibt eine englische Fassung, die international laufen wird. Die deutschen Darsteller, die dabei sind, kommen hauptsächlich in der österreichischen Welt (das Musikinternat, Red.) vor. Da war es ja völlig OK, auch wenn sie einen leicht deutschen Akzent haben, wenn sie englisch sprechen. Wir erzählen ja die Geschichte eines englischen Jungen, der trifft, wenn er nach Österreich kommt natürlich auf Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen.
Das heißt, es wurde anschließend komplett synchronisiert. Die Gesangspassagen auch? Denn die Oper ist ja auf Deutsch geschrieben.
Die Urfassung ist auf englisch gedreht. Wir haben da mit einem Librettisten von der London Opera zusammengearbeitet, der schon zwei Mozart-Übersetzungen herausgebracht hatte. Übersetzungen waren immer schon üblich, das wussten wir aus Gesprächen mit der Mozartgesellschaft. Ein paar Monate nach der Uraufführung gab es bereits eine italienische Fassung. Gerade bei Singspielen wie der Zauberflöte ist es ja wichtig, dass man auch das versteht was gesungen wird. Aber natürlich muss es von einer deutschen Oper auch eine deutsche Fassung geben, die haben wir danach erstellt.
War es schwer, Rolando Villazon zu einem Gastauftritt zu bewegen?
Gar nicht. Ich hatte das Glück, Rolando sehr früh im Produktionsprozess kennenzulernen. Er ist ja auch Präsident der internationalen Mozartgesellschaft. Das Mozarteum bat mich darum, mich mit ihm zu treffen. Er hat mich dann auch erst einmal ein bisschen gegrillt und wollte wissen, was wir da vorhaben. Wollen wir Mozart billig verschachern oder ist das ein ehrenwerter Versuch, ihn einem größeren Publikum nahezubringen? Als er verstanden hat, was wir machen wollen, ein paar erste Entwürfe gesehen und das Drehbuch gelesen hat, war er Feuer und Flamme. Er unterstützt das Projekt mit Haut und Haaren. Wir brauchten für die Rolle des Vaters eines nicht ganz so netten Jungen noch dessen Vater, der eine bekannter italienischer Opernstar ist, da sagte er sofort, OK, mache ich. In der Art wie er dasteht und spricht hat er sich ein bisschen an Placido Domingo orientiert, es hat Spaß gemacht mit ihm zu arbeiten.
Wer ist die Zielgruppe für den Film? Soll es ein Familienfilm für die Vorweihnachtszeit sein? Der Trailer erinnert in der Machart ja eher an das Harry-Potter-Genre. Oder geht es um erwachsene Musikliebhaber, die eine Kinoversion sehen wollen?
Das Hauptzielpublikum sind neben Jugendlichen, vielleicht ab sieben, acht Jahren bis ins Teenageralter tatsächlich Familien, für die die nächste Oper weit weg ist. Die echten Klassikmusiknerds werden vielleicht nicht den ganzen Film gleich gut finden, aber sie werden auf ihre Kosten kommen. Beispielsweise die Arie der Königin der Nacht hat man noch nie so perfekt und in Atmos gehört. Das ist schon ein anderes Erlebnis als im Theater, wo der Klang monodirektional ist, in der Musik tatsächlich drin zu sein.
Wie kommt es dazu, dass der Schauspieler Stefan Konarske als Koproduzent auftritt?
Stefan war sehr früh ein Kandidat für den Monostatos, wo es darum geht einen klassischen Bösewicht zu spielen, der natürlich auch geliebt werden will aber missverstanden wird. Es gibt beim Film Momente, wo man merkt, wenn wir jetzt anfangen wollen, dann müssen wir die Finanzierung schließen. Stefan war dann der Retter in der Not und hat über sein Netzwerk die Lücke geschlossen, so ist er zum Koproduzenten geworden, was ihm großen Spaß gemacht hat. Für einen Schauspieler ist es eine total interessante Erfahrung, die beiden sehr unterschiedlichen Funktionen zu sehen, sich selbst von einer anderen Seite kennenzulernen.
Hatte er das schon einmal gemacht?
Nein, aber es hat ihm so gut gefallen, dass er meines Wissens jetzt auch an zwei, drei Kinoprojekten dran ist.
Ich möchte noch einmal kurz zum Casting zurückkommen. Das internationale Casting hat ja Sophie Holland verantwortet. Hatten „Die Annas“, die ja in der Bavaria ihre Wurzeln haben (Anna Kulzinger und Anna-Isabelle Schmidt , beide ehemals Bavaria Casting, Red.), bestimmte Rollen, für deren Besetzung sie verantwortlich waren, oder wie hat sich die Zuständigkeit aufgeteilt?
Wir wussten ab einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung, wo die Rollen herkommen, ob sie eher international sind, ob sie deutsch sind und haben das im Vorfeld weitgehend aufgeteilt. Es gab ein paar Rollen, die von beiden Seiten bearbeitet wurden. Aber ansonsten haben „Die Annas“ hauptsächlich den deutschsprachigen Cast besetzt, während Sophie Holland in London sich um die internationalen Dinge gekümmert hat.
Was habe ich sie nicht gefragt, was sie gerne gefragt worden wären?
Als ich wusste, dass ich den Film mache, habe ich relativ schnell mit Judith Weston Kontakt aufgenommen. Sie war früher Schauspielerin und ist heute Regie- und Schauspielcoach in Los Angeles. Sie hat mir im Vorfeld sehr geholfen. Ich habe sie angerufen und ihr gesagt, vor welcher gigantischen Herausforderung ich stehe, manche der Sänger werden noch nie vor einer Kamera gestanden haben. Ich habe einen Oscar-Gewinner im Cast, F. Murray Abraham ist eigentlich Shakespeare-Theater-Darsteller, ich habe „Game of Thrones“-Leute – wie mache ich das eigentlich? Judith war eine Riesenhilfe, weil wir im Schnelldurchlauf noch einmal die gängigsten „Schauspielschulen“ durchgegangen sind, damit ich etwas frischer im Kopf daran gehen konnte: Was brauchen die Schauspieler von mir? Meine Hauptaufgabe als Regisseur sehe ich darin, dass ich eine Plattform baue, die Begrenzungen setze, sodass sich der Schauspieler dann freien Lauf lassen kann. Dazu muss ich aber als Regisseur wissen, wie arbeitet er, welche Technik benutzt er? Arbeitet er eher nach Meisner und braucht Impulse, eher Method, F. Murray Abraham arbeitet mit einer Kombination von Wort und Bewegung, das muss man beim Blocken der Szenen berücksichtigen. Wir haben auch gemeinsam Filme angesehen, teilweise mit sehr jungem Cast, und geschaut, was funktioniert. Sie hat mit mir daran gearbeitet, welche Werkzeige man den Schauspielern an die Hand geben kann, um sie zu unterstützen. Zum Beispiel die Übergänge hinzubekommen: Im einen Moment spiele ich noch, im anderen singe ich. Das war sehr interessant und hat mir sehr geholfen, das war ein großer Schlüssel, um das Vertrauen der Schauspieler zu bekommen.
Das finde ich mutig, seine offene Flanke zu erkennen, zu benennen und sie dann auch zu schließen.
Ich dachte, das funktioniert nur mit einer Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, was kann ich eigentlich, wo muss ich perfekt sein, damit das eine Chance hat zu funktionieren.
Fand das alles im Vorfeld statt oder hat Judith Weston sie auch noch während der Dreharbeiten gecoacht?
Nur im Vorfeld bevor die Dreharbeiten losgingen haben wir an einzelnen Szenen ausprobiert, was man machen kann. Damit die Schauspieler sich beim Drehen mit Vertrauen fallen lassen können, muss ich meine Hausaufgaben vorher gemacht haben.
Interview Thomas Bauer
Vita Florian Sigl:
Florian Sigl, 47, hat sehr früh angefangen Musik zu machen, mit 14 begann er intensiv Violine und Fagott zu spielen, hat in verschiedenen Orchestern und auf Festivals mitgewirkt und wollte Dirigent werden. Mit Anfang 20 begann eine zweite Karriere als Regisseur und Produzent von Werbefilmen. Heute arbeitet er als Autor und Regisseur sowie als Dozent an Filmhochschulen.