Eastern 3.0

Kann man, muss man , darf man einen Stasi-Stoff als Komödie drehen? Ist es wirklich eine, wenn der dritte Teil der „Eastern“-Trilogie sogar den Namen des Machers in sich trägt – „Leander Haußmanns Stasi-Komödie“?  Ein Gespräch über Vertrauen, Ernsthaftigkeit, den Unterschied, als Regisseur selbst Schauspielerfahrung zu haben – und natürlich das spezielle Genre. Am 20. Oktober 2022 kommt die Komödie auf DVD und Bluray heraus.

Auf Platz 1 der Arthaus-Charts startete „Leander Haußmann’s Stasikomödie“ ins Kino und hielt sich dort vier Wochen lang. Zum Ende des Jahres soll er auch für die heimischen Medien verfügbar sein. Stasi und Komödie? Und dann noch mit dem Namen des Machers im Titel – wie einst bei Mel Brooks? Das ist eine Kombination, die zumindest Fragen aufwirft, über die der Autor und Regisseur des Films und des fast gleich­namigen Theaterstücks, Leander Haußmann, sich so unterhaltsam wie geschliffen ausführlich mit der Redaktion unterhalten hat. Als sich nach rund 60 (von 30 vereinbarten) Minuten der Zoom-Vorhang schloss, waren zwar noch fast alle Fragen des vorbereiteten Interviews ungestellt und dennoch fast keine Fragen offen.
(Foto Nik Konietzny/Constantin)

Bevor wir zum Film kommen etwas Persönliches… eines der Erlebnisse, dass mich fürs Theater begeistert hat, war Ihr „Romeo und Julia“ mit Annemarie Bubke und Guntram Brattia. Ich habe vor dem Interview einmal nachgelesen, wer damals, 1993, alles mitgespielt hatte, unter anderem Hans-Werner Meyer, der heute beim BFFS im Vorstand ist, als Tybalt. Sind Sie noch in Kontakt mit den Kollegen, die noch leben – nachdem Guntram Brattia ja leider so jung gestorben ist?
Man sagt ja, jeder Erfolg ist geprägt von Blut, Schweiß und Tränen und ist eine Aneinanderreihung von Misserfolgen, die es am Ende zu dem führen, was es ist, weil die Vision der Macher ausgereicht hat, für diesen Weg. Guntram Brattia hat sich im Laufe dieser Inszenierungsproben zweimal schwer verletzt. Einmal auf der Maximilianstraße, weil er mich auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah, die Autotür öffnete und die Straßenbahn, die Tür gegen seinen Kopf knallte. Und später, als er nach einer gelungenen Fechtszene in der Hinterbühne einen Luftsprung machte und sich die Achillessehne riss. In diesem Fall hat Hans-Werner Meyer für ihn den Romeo übernommen. Hans-Werner Meyer ist ein wahnsinnskollegialer Mensch, sehr hilfsbereit und nicht nur sich selbst sehend, sondern für die ganze Sache da. Das sind mir sowieso die liebsten Schauspieler. Er hatte den Romeo dann in den Proben übernommen, allerdings unter der Voraussetzung, dass er den Romeo dreimal auch spielen darf. Er hat die Schuld nicht von mir eingefordert.

Sie selber hatten ja auch eine Ausbildung als Schauspieler. Warum spielen Sie nicht mehr regelmäßig?
Erst einmal – weil man den Beruf verlernt, wenn man ihn nicht täglich ausübt. Das ist ein Beruf, an dem muss man täglich arbeiten, das ist etwas, was einen wirklich in Anspruch nimmt. Wenn du am Theater spielst sowieso, du darfst den ganzen Tag nichts trinken, du musst deinen Text kennen, du hast ein Herz- und Magengrummeln. Das ist ein Rund-um-die-Uhr-Beruf. Du bist die ganze Zeit mit etwas beschäftigt. Zu lernen, zu trainieren, zu durchdringen, zu lesen. Nach der Ausbildung war ich als Schauspieler in Parchim, in Gera, in Weimar, da konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich diesen Beruf jemals nicht ausübe.
Ich neigte aber schon immer dazu – und das ist eigentlich ein Manko im Schauspielerberuf – das Ganze von außen zu sehen. Wenn du nicht in der Lage bist, so in die Figur reinzugehen, dass du das Außen vergisst, dann fehlt etwas, dann bist du immer ein bisschen oberflächlich.

Sie meinen, Sie haben sich beim Spiel selber beobachtet?
Ja, wenn man nicht ganz reingeht. Das hatte allerdings auch damit zu tun, dass ich – von Castorf und einigen anderen abgesehen – zu den meisten Regisseuren kein Vertrauen hatte und für sie mitguckte. Man muss ja als Regisseur Entscheidungen treffen, das erwartet man als Schauspieler. Eines Tages, als ich den Tesman in Hedda Gabler spielte und von der Regie nichts kam, habe ich in einem Putsch den Regisseur abgesetzt und habe selber Regie geführt. Das war der Moment, ab dem ich Regie geführt habe. Bis in einer Aufführung ein junger Stasi-Offizier, der eigentlich nur die Jugendlichen kontrollieren sollte, mit nacktem Oberkörper mittanzte. Bei der nächsten Vorstellung wurden dann zwei Reihen mit Stasioffizieren besetzt, die eigentlich stören sollten, aber anfingen rhythmisch mitzuklatschen. Das kam schon einer Befehlsverweigerung gleich. Man wusste sich nicht anders zu helfen, als ein Verfahren gegen mich einzuleiten, sodass ich in dieser kleinen DDR in einer Nacht- und Nebel-Aktion über die mecklenburgische Grenze fliehen musste, in Weimar gewährte mir der dortige Intendant Asyl, da musste ich dann wieder zurück in die „Niederungen“ des Schauspielberufes. Als dann die Mauer fiel, waren plötzlich keine Regisseure mehr da.

Weil sie in den Westen gegangen sind?
Ja, zum Teil das. Wenn ich das so uneitel sagen darf, ich war schon ein durchaus hoffnungsvolles Talent. Zum Ärger der älteren Weimarer Nationalschauspieler sollte ich den Lear spielen, mit Steffi Kühnert übrigens als Narr. Die damalige Regisseurin wurde als Oberleutnant der Stasi enttarnt, da gab es keine Regisseurin mehr. Da habe ich dann gesagt, ich könnte doch Regie führen. Wir haben uns damals für „Leonce und Lena“ entschieden, geprobt in drei Wochen. Ab da konnte ich wieder als Regisseur arbeiten.

Also eigentlich wieder aus einer Notlösung heraus sind Sie dann dabei geblieben?
Nicht als Schauspieler aber als Regisseur habe ich einen ganz großen Respekt, eine ganz große Bewunderung für das entwickelt, für das was die Schauspieler da oben machten. Um so mehr ich das bewunderte und natürlich auch versuchte, das so in Kanäle zu leiten, dass es in ein Konzept passte, um so mehr entfernte ich mich von meinem eigenen Können.
Im Sommernachtstraum habe ich so gut wie jede Figur schon gespielt, als Uwe Bohm einmal in „Drei Schwestern“ ausfiel, habe ich den Werschinin, der ist in allen fünf Akten drin, am selben Tag mit Knopf im Ohr übernommen, oder an der Burg für einen verstorbenen Schauspieler den Zettel, ebenfalls mit Knopf im Ohr.

Jeweils aus der Regieposition heraus?
Ja genau, in meinen eignen Inszenierungen. Da kam mir natürlich meine Schauspielerfahrung zugute. Ich habe ja früher in meinen eigenen Filmen auch kleinere Rollen übernommen, bis meine Hauptmaskenbildnerin meinte, Leander lass es doch.

Warum meinte sie das?
Es gibt bessere Schauspieler.

Das klingt bescheiden.
Wobei, es zieht mich schon. Aber da müsste ich mich coachen lassen, damit ich mich vergesse. Der David Kross kann das hervorragend. Wenn er nicht dreht, wird er unsichtbar am Set. Da fragst Du, wo ist denn der David und dann steht er neben dir. Und dann kommt er und ist wieder in der Figur, macht keinen Wind, redet nicht viel mit den Leuten und ist in der Rolle.

Ich würde gerne noch einmal zu einem Punkt zurückgehen, Sie sagten, Sie hatten kein Vertrauen zu den Regisseuren. Würden Sie aus heutiger Sicht sagen, Sie hatten zurecht kein Vertrauen zu den meisten Regisseuren oder war es teils die normale jugendliche Arroganz zu sagen, „ich kann das selber besser“?
Sicher von allem etwas. Aber ich beobachte auch heute noch, dass Regisseure sich provoziert fühlen, wenn ein Schauspieler kreativ ist, Ideen hat, dass sie sich gestört fühlen. Ich war immer ein sehr engagierter Schauspieler, sehr für die Sache, wollte in guten Inszenierungen sein und hatte halt Ideen. Viele Regisseure fühlten sich dadurch infrage gestellt, weil man den Regisseur nicht immer beiseite nehmen kann, sondern das auf offener Bühne ausgetragen wird. Als Regisseur muss man begreifen, dass es im Wesentlichen zwei Kategorien von Schauspielern gibt. Es geht immer um Angst, der Mensch muss sich immer überwinden. Ob er auf der Straße nach dem Weg fragt oder ob er sich völlig perverserweise vor hunderten von Menschen dahinstellt und eine Performance abliefert. Das ist erst einmal gegen seine Natur, der Mensch ist ein Herdentier.
Es gibt verschiedene Methoden, diese Angst zu überwinden, der Regisseur ist dazu da, diese Methoden anzusehen und sie zu nähren, damit der Schauspieler eine möglichst angstfreie Situation hat, um zu agieren, um kreativ zu werden. Es gibt den „Diener-Schauspieler“, der liebt es geradezu, dass man ihm genau sagt, was er zu tun hat. Dann kann er daraus ganze Universen entwickeln. Und dann gibt es den „Chef-Schauspieler“. Der kann nicht arbeiten, wenn man ihm nicht das Gefühl gibt, er hat alles unter Kontrolle. Der kommt ans Set und sagt, „hey, was haste für ‘ne Kamera, was haste für ‘ne Linse drauf? Grüß dich Alter, wir kenn‘ uns doch von früher, wir machen das soundso…“ und so weiter. Dagegen als Regisseur einen Kampf aufzunehmen, das ist unsinnig. Entweder man hat Autorität oder nicht. Dagegen zu kämpfen ist genauso unsinnig wie dem Diener-Schauspieler zu sagen, „warum soll ich dir denn jetzt vorgeben, ob du dich hinsetzen sollst oder nicht?“. Dann machst du ihn nervös, nährst die Angst und bekommst nicht das höchstmögliche Ergebnis. Sondern vielleicht das, was er immer macht. Aber das, was ein Schauspieler immer macht, das hat mich noch nie interessiert.

Fehlt vielen Regisseuren die eigene Schauspielerfahrung, um sich in die Psyche reindenken zu können?
Ich habe darüber neulich mit Henry Hübchen gesprochen. Das ist ja ein Schauspieler, der durchaus einen Regisseur „killen“ kann, der weiß, was er kann und vom Regisseur sehen will, was der drauf hat, warum er da sitzt. Ich habe ihn gefragt, ob er glaubt, dass es daran liegt, dass ich auch Schauspieler bin, dass wir so gut miteinander klarkommen. Und er meinte, ja klar, wir sprechen dieselbe Sprache. Ich kann hart sein, ohne respektlos zu sein. Ich lasse mir Zeit, auch wenn wir keine mehr haben. Dann lasse ich lieber eine Szene weg. Irgendwann ist auch mal Schluss mit dem Tempomachen und Streichen von Drehtagen. Da ist mir wichtiger, ich habe eine gute Szene als keine gute Szene, als viel Mittelmäßiges. Ich schaue auch nicht mehr ins Buch. Wenn ich an den Drehort komme, dann schaue ich nach vorne und will sehen, was der da macht.

Wobei es natürlich dafür die Continuity gibt, die darauf achten muss.
Ja, die gucken ins Buch. Aber am Ende haben wir immer irgendwas nicht, es stimmen Anschlüsse nicht. Wir haben in dem Film eine Anschlussfehler-Orgie, aber bisher hat sie noch keiner moniert. Mal hat er das Hemd an, mal ist er nackt: Wir haben das beste genommen, dann scheiß in dem Moment auf die Continuity.

Aus dem Stoff, der ja offensichtlich viele eigene Erfahrungen und Erfahrungen von Freunden beinhaltet – es ist ja immer das beste, wenn man weiß, wovon man spricht – haben Sie ja zuerst ein Theaterstück gemacht. War es da schon der Plan, auch einen Film zu machen oder kam die Idee erst nach dem Stück?
An dem Drehbuch sind von der ersten Idee bis zur ersten Fassung bestimmt fünf Jahre vergangen. Sie können sich vorstellen, was da an Material da ist, was da abfällt. Wie viele Szenen und Dialoge man geschrieben hat, bis man am Ende so einen Film hat. Das geht ja immer weiter, auch noch während des Drehens. Wobei der Film schon sehr nah am Drehbuch ist. Trotzdem habe ich mich immer geärgert, was da übrig bleibt, so viel Arbeit. Die UFA war so freundlich, mir die Erlaubnis zu geben, daraus ein Theaterstück zu machen. Und zwar an der Volksbühne, wo ich mit Freunden ein Ensemble zusammenstellen konnte. Viele von denen sind ja auch im Film dabei. Matthias Mosbach, Antonia Bill, die drei Stasi-Kollegen, diese Clowns, waren ja auch schon im Theaterstück dabei.

In den gleichen Rollen?
In ähnlichen Rollen. Im Theaterstück waren sie größer ausgebaut, es war montagenhafter. Da spielte auch noch die Vater-Sohn-Beziehung von Ludger eine Rolle. Sein wir doch mal ehrlich, wer muss im Theater heute noch einen Plot erzählen. Wenn man das macht, ist es ja geradezu ehrrührig. Die Leute erwarten das ja gar nicht mehr und sind davon irritiert. Insofern sind die einzelnen Plots da nur angepitcht. Gleichzeitig konnte ich dort die Wirkungsweise verschiedener Szenen beobachten, ich konnte daraus lernen. Den Film habe ich erst drei Jahre später gemacht, das Theaterstück ist aus „Abfallmaterial“ des Drehbuchs entstanden. Wobei zum Beispiel die Ampelszene im Theater gar nicht funktioniert. Also wurde sie dort weggelassen.
„Abfallmaterial“ klingt etwas despektierlich gegenüber dem Theaterstück.
Sagen wir, was nicht in die Plotline passte. Da kann man natürlich im Theater eher so ein Panoptikum bauen. Es wart dort musicalhafter, theatraler, bestand auch aus längeren Improvisationen. Es soll ja auch jeder Schauspieler seine Szenen haben und zu Wort kommen.

Warum war es Ihnen gerade bei diesem Film und Theaterstück so wichtig, Ihren Namen in den Titel mit hinein zu nehmen, was meines Wissens sonst noch nie passiert ist?
Zunächst finde ich das „Stasikomödie“ an sich als Titel einsam klingt. Das ist kein Titel sondern ein Genre.

„Staatssicherheitstheater“ wäre singulär schon vertretbarer gewesen.
Glauben Sie ja nicht, dass das nicht sehr lange diskutiert wurde. Wenn das dann alle Regisseure wollen. Ist natürlich Quatsch. Ich habe gesagt, ich bin auch offen für einen anderen Titel, der auch zieht. Ich will den Film ja nicht kleiner machen. Der Titel macht den Film groß, so wie „Mel Brooks‘ Geschichte der Welt“ oder „Walt Disneys Bambi“.
Ich bin darauf fixiert, Filme zu machen, die es noch nicht gibt. Das ist derzeit in der deutschen Kino-Landschaft gar nicht so einfach, wenn ein Filmprojekt kein Remake ist, also schon mal zum Beispiel in Frankreich oder Spanien einen Erfolg hatte, oder doch zumindest als Teil zwei oder drei eines megaerfolgreichen Films oder Spin Offs daherkommt, dann werden sie sehr lange brauchen, um jemanden zu finden, der das Projekt finanziert.
Deswegen bin ich allen Beteiligten, also den Leuten bei UFA und Constantin, sehr dankbar für ihren heroischen Einsatz. Es ist mir auch wichtig, dass ich inhaltlich als alleinig Verantwortlicher dastehe. Fragen, Beschimpfungen, Meinungen, Lob und Begeisterung bitte zunächst an meine Adresse. Klar, der Titel ist eitel, das kann man nicht leugnen. Aber es ist der Titel eines 63-jährigen Mannes, der in diesem Land schon viel angeboten hat und nachweislich der Erfinder dieses Genres ist.

Welches Genres?
Eastern. Diese Art Film, die DDR so zu betrachten. Vor Sonnenallee hat niemand geglaubt, dass das funktioniert, weil der Westen ignorant war, eigentlich bis heute ist, sich etwas darauf einbildet, über uns nichts zu wissen und kleidet das in nicht so witzige Witze, bei denen man so tun muss, als würde man lachen, damit man nicht in den Verdacht gerät, keinen Humor zu haben. Die gehen meisten los mit „Ihr Ossis“, es ist also sofort eine Pauschalisierung dahinter. Man könnte es Diskriminierung nennen. Aber mit dem
Begriff bin ich vorsichtig, denn es gibt andere Bevölkerungsgruppen, die darunter stärker zu leiden haben. Und immer wenn ich einen Film mache, kommt irgendein Schlauberger daher und meint, „ist das nicht auserzählt“? Nein, das ist, als wenn ich fragen würde, die RAF, die 50er-, 60er-, 70er-Jahre – ist das nicht auserzählt? Aber das wird mit großer Selbstverständlichkeit als großes ganzes betrachtet, völlig isoliert und völlig ohne jegliches dialektisches Geschichts- und Philosophie-Bewusstsein, als wäre die DDR mit diesen komisch-schrulligen Leuten vom Himmel gefallen. Aber der Ansatz, wie das entstanden ist, wie das geworden ist, dass die DDR ein Spiegelbild von jedem ist, dort rüber schaut. Natürlich muss man davon ausgehen, dass das alles noch da ist, die Charaktere, die Archetypen, die Angst, das Karrierebewusstsein, die Unterwürfigkeit der Menschen, das ist der Stoff, aus dem Diktaturen sind, weil Hierarchien daraus bestehen. Ob das in einer Diktatur ist, oder ob du dich einscheißt, wenn du zu deinem Chef musst und aus Angst deinen Kollegen denunzierst, damit du den Job als Abteilungsleiter bekommst. Das sind ja die gleichen Verhaltensweisen. Man muss nicht so tun, als wäre die DDR ein Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Wege sind. Als müsse die Gesellschaft sich nur noch ein bisschen modifizieren und wir sind angekommen. Nein, das ist ein Trugschluss. Wir müssen nach vorne schauen, aus unseren eigenen Verhaltensweisen lernen und gemeinsam überlegen, wie unsere Zukunft aussehen soll – das bedingungslose Grundeinkommen wäre vielleicht ein Weg – wie wir die Menschen von ihrer Last befreien, um ihre Existenz kämpfen zu müssen. Denn so kommen sie auf die Idee, sich anderen Menschen gegenüber unethisch zu verhalten.
Auf der einen Seite verlangen wir von den Menschen, dass sie einen eigenen Kompass haben, was gut und was böse ist. Und zwar unabhängig von den Gesetzen und Regeln, die der Staat auferlegt, an die du dich halten musst. Du kannst aber danach bestraft werden, wenn du sie nicht befolgt hast. In der DDR war das nicht ganz so klar, weil es ja irgendwie eine „moderate Diktatur“ war. Natürlich mit Toten, aber ohne Konzentrationslager, kein Rassismus…

… zumindest kein offen ausgelebter.
Die Aufarbeitung der Nazizeit und des Faschismus ist passiert, aber keineswegs abgeschlossen. Man hat das schon sehr ernst genommen, uns zu Antifaschisten zu erziehen. Das ist uns schon so auf den Sack gefangen, dass mancher aus Protest ein Hakenkreuz an die Wand gemalt hat. Ich möchte selber entscheiden, dass ich ein Antifaschist bin. Das ist auf ganz einfache Weise die Ampelszene. Wir lernen Ludgers Charakter kennen. Er hält sich an die Straßenverkehrsordnung, bleibt an der leeren Kreuzung bei Rot stehen, auch wenn es langsam absurd wird und Arbeiter über die Straße gehen. Auf der anderen Seite ist er auch jung und hat Zeit.

Er kann die Zeit nutzen, um sein Buch zu lesen.
Genau, und dann auch noch – OK, das ist mein Humor – Jack Kerouac, „On the road“, wo es um eine ewige Reise geht. Dann wird er auf die Probe gestellt. (Ein Auto naht heran und eine kleine Katze spielt auf der Straße, Red.). Das kennen wir ja alle, „Rette die Katze“ von Blake Snyder (übers Drehbuchschreiben, Red.), wo er sagt: Statte Deine Figur mit möglichst vielen schlechten Charaktereigenschaften aus. Aber lass sie am Anfang etwas Gutes tun, das trägt durch den ganzen Film.

Hier erfahren wir erst am Ende des Films, ob er sie gerettet hat…
Ich würde mir wünschen, wenn die Leute auf dem Film kommen, dass sie sich fragen, wenn sie an einer roten Ampel stehen, bis zum Horizont kein Auto, ob sie stehen bleiben und die Stasi sie anwerben würde. Ich denke, der einfachste Weg, Diktaturen, Autokraten und Geheimdienste zu entlarven, zu entwaffnen und letzten Endes zu besiegen, ist das Lachen. Der Humor und seine Vertreter sind in der Regel immer die ersten, die über die Klinge springen, wenn es der Demokratie an den Kragen geht. Denn die Komödie ist das demokratischste Genre überhaupt. Nichts fürchtet eine Diktatur mehr, als nicht ernst genommen zu werden.

Wenn Sie als Regisseur arbeiten, ob an der Bühne oder beim Film – haben Sie selber eher Verständnis, Hochachtung dafür, wenn jemand sich auflehnt?
Ich habe vier Kinder und bin gewohnt mit Kritik umzugehen. Es ist nicht so, dass ich nicht wüsste, was es bedeutet, ununterbrochen in seiner Persönlichkeit attackiert zu werden und zum Beispiel von seiner 18-jährigen Tochter erzogen zu werden. Ich nehme es geduldig an.
Es kommt darauf an. Also: Widerstand ist ja nicht kreativ. Wenn jemand eine Idee hat, etwas Neues sprechen oder ausprobieren will, dann sehe ich das nicht als Affront an, sondern als gangbaren Weg, Lösungen zu finden. Regisseur zu sein, heißt, mit den Leuten Lösungen zu finden.

Warum ist die Komödie die richtige Umsetzungsweise für die Eastern, wie Sie es nennen?
Zunächst möchte ich betonen, dass es nicht immer reine Komödien sind. In allen drei Filmen gibt es Stellen, wo man die Luft anhält. Ich verharmlose ja nicht das System, indem ich sage, die waren nicht gefährlich. Sondern: Wir waren lustig, wir waren keine Opfer, wir haben denen auf der Nase rumgetanzt und auch unser Ding gemacht. Jetzt hört mal auf, uns zu Kaninchen zu machen, die sich in ihrem Bau verstecken und sich heimlich im Treptower Park am Sowjetdenkmal getroffen und flüsternd etwas auszutauschen oder Schreibmaschinen unter Dielenböden versteckt haben. Ich wollte etwas anderes erzählen. Ursprünglich wollte ich etwas aus der Künstlerszene heraus über die Künstlerszene erzählen, fand das aber dann zu langweilig. In der Stasikomödie geht es grundsätzlich darum, dass man vergeben will. Nur möchte man mal eine Entschuldigung dafür hören. Eine andere Frage ist, wieviele Kollateralschäden kann eine Wahrheit anrichten?
Was ich meine ist: Kommt mal runter von eurem hohen Ross. Ihr entwickelt Strategien, wie ihr eure Frauen hintergehen könnt mit anderen Frauen, ihr lügt euch durch den Tag. Was ja manchmal auch OK ist, denn Lügen können dazu da sein, Menschen nicht zu verletzen. Aber eben auch dazu, sich einen Platz im Leben zu entwickeln, der einfacher ist. Also tut nicht immer so, als seid ihr die nicht. Um dieses Gefühl zu erreichen, um ein wenig Absolution zu erhalten, wir hören ja zu, wenn ihr eure Geschichten erzählt. Es gibt ja viele, die sich geoutet haben. Es waren in meiner Zeit so viele dabei – wir dachten immer, wir würden die erkennen. Was ja auch gut war, das waren gute Musiker, mitunter die coolsten, denen ich bis heute nicht böse sein kann. Wer weiß, ob der eine oder andere uns dieses Leben vielleicht sogar ermöglicht hat, weil er Informationen nicht weitergegeben hat – oder falsche Informationen. In meinem Film gibt es halt nicht diese furchtbaren Prügelszenen, das weiß man und kennt es auch. Stattdessen wird von der Oppositionellen am Schluss dem Polizisten eine Zigarette gereicht.

Ein Versuch des Aufeinanderzugehens.
Am Ende des Lebens kann man es sich ja auch mal gutgehen lassen.

Die Zeiten sind und werden immer mehr sehr moralisch. Differenzierte Darstellung weicht ja einem Schwarz/Weiß, bist du dafür oder dagegen. Die Blasenbildung in den sozialen Medien tut ihr übriges. Ist so eine verführte Figur wie der Ludger, der man die Fehler leicht verzeiht, eine Möglichkeit, solch eine Moralisierung offensiv zu durchbrechen?
Was mir selten passiert, in diesem Fall war es aber ein beglückendes Erlebnis, dass der Film sich von mir weg entwickelt hat. So ein Film ist ja wie ein Organismus mit lebenden Menschen. Maskenbildner, Kostümbildner, nicht zuletzt die geniale Musik vom Malakoff Kowalski oder auch Lothar Holler (Szenenbild, Red.) mit seinen Räumen. Die haben immer irgendwas und ich kann nicht sagen was, was andere Filme, die den Osten darstellen, nicht haben. Wahrscheinlich ist es die große Romantik und die klare Aussage, die diese Räume haben. Und dann kuckst Du, was ist denn das für ein Junge. Der David Kross, der im Grunde wie ein Simplicius Simplicissimus da herein geraten ist, so ein Schelm. Eine im Grunde ängstliche Figur, die immer wegrennt. Er trägt eine Last mit sich und auch wenn der Pfarrer sagt, die Menschen gieren danach, dir zu vergeben, er kommt nach Hause und kann es nicht. Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas Schlechtes getan zu haben und ohne es zu wollen, ohne dass die Welt daran zugrunde gegangen ist. Aber in der Summe derer, die das gemacht haben, da war es ein Unrechtsstaat.

Es klingt, als seien Sie selber überrascht von dem, was da aus den geschriebenen Worten entstand?
Ich würde fast von göttlicher Fügung sprechen. Das Thema hat keine Ruhe gelassen, bis es das war, was es ist. Ich habe auch etwas anderes erwartet. Ich hatte zwei Zuschauertests. Der zweite war insofern interessant, als man spürte, dass die Leute den Film mögen wollen. Das lag sicher an David Kross und der Merkwürdigkeit und der Originalität. Aber sie konnten es nicht. Es war schwer herauszufinden, was das Problem ist. Die Leute können es dir auch nicht sagen. Selbst wenn sie den Grund sagen, wird es nicht der richtige sein. Das ist, wie wenn ein Dilettant, der kein Arzt ist, sagt, weil der linke Arm kribbelt, „oh, das ist wohl das Herz.“ Es kann aber auch der Rücken sein. Da muss man herausfinden, wo es krankt.
Ich habe dann gemerkt, dass die Leute nicht wussten, ob sie den Film ernstnehmen oder lachen sollen. Und diese Last musste ich ihnen nehmen. Ich musste ihnen sagen, schaut euch die Geschichte an, die ist ernstzunehmen, aber sie hat durchaus lustige Momente, die aber nicht so gebaut sind, wie man das heute meist baut, mit Punchline und Pointe. Man ist in einer schrulligen Welt, die im Grunde absurd ist, uns aber auch immer wieder zu uns selbst zurückholt. Dafür musste ich auch nachdrehen, vor allem aber die lustigen und improvisierten Stellen wegnehmen. Den Slapstick rausnehmen. Das sind Theaterschauspieler, die können das natürlich. Aber es ist ein gutes Beispiel für „kill your darlings“: Einen ernstzunehmenden Film daraus zu machen. Komödie heißt ja nicht, dass man sich unter den Sitzen kringeln soll. Die Comédie-francaise spielt auch ernsthafte Stücke. Die deutsche Komödie ist eine theatralische Form, die alles umfasst, sie hat ein paar ärmere Geschwister, das ist der Schwank, die Farce oder die Satire. Das ist ja nichts davon, man versucht ja relativ auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und dadurch eine Leichtigkeit herzustellen, die es uns ermöglicht, nicht das Gefühl zu haben, manipuliert zu werden, durch die übliche Dramaturgie von böse zu gut oder „character beats“. Bei meinen Figuren ist das meist nicht so – weil es eben auch nicht so ist. Menschen lernen doch nicht, sonst würden wir doch keine Kriege führen.

Interview Thomas Bauer

Bereits am 20. Oktober 2022 wird Leander Haußmanns Stasikomödie auf DVD und Blu-ray erscheinen, Constantin Film im Vertrieb von Highlight Communications. Interview mit Hauptdarsteller David Kross in ca:stmag II/III/2022