Interview mit dem Präsidenten der Deutschen Filmakademie zur heutigen Verleihung des Deutschen Filmpreises

Am 1. Oktober 2021 werden im Rahmen einer Gala die Deutschen Filmpreise 2021 verliehen. Nominierte siehe Meldung unten und Link. Aus Anlass der Verleihung hat die Redaktion ca:stmag mit dem Präsidenten der Akademie, Ulrich Matthes, ein Interview über die Aufgaben der Akademie und die politische Dimension des Amtes geführt.
Foto Florin Liedel/Deutsche Filmakademie

Am 1. Oktober 2021 werden im Rahmen einer Gala die Deutschen Filmpreise 2021 verliehen. Nominierte siehe Meldung unten und Link. Aus Anlass der Verleihung hat die Redaktion ca:stmag mit dem Präsidenten der Akademie, Ulrich Matthes, ein Interview über die Aufgaben der Akademie und die politische Dimension des Amtes geführt.
Foto Florin Liedel/Deutsche Filmakademie

Die Nominierungen zum Deutschen Filmpreis 2021 auf einen Blick (Link)

Nach außen sichtbar wird die Deutsche Filmakademie ja besonders durch die Filmpreisgala. Was sehen Sie darüber hinaus als die für Sie wichtigste Aufgabe der Filmakademie?https://www.deutscher-filmpreis.de/preisverleihung/2021/

Ich unterscheide zwischen innen und außen. Nach innen machen wie sehr viele Gesprächsformate, bei denen sich die Gewerke untereinander besser kennen lernen, Vorurteile abbauen, sich gegenseitig Geschichten erzählen. Das ist ja auch der Sinn einer Akademie, dass sich Leute aus unterschiedlichen Berufen besser kennen lernen. Es ist immer wieder beglückend zu erleben, wie diese Formate, die sich großer Beliebtheit erfreuen, besucht werden. Bei Corona konnte das wenn, dann nur über Zoom stattfinden. Und man hat gemerkt, was für ein Riesenunterscheid es ist, ob man am Computer zusammenhockt, oder mit 40-50 Menschen leibhaftig in einem Raum ist, wo man sich sieht, sich ins Wort fällt, wo man gemeinsam lacht oder sich gemeinsam ärgert. Das ist der Bereich nach innen.

Nach außen haben wir Formate wie Filmbildung, wir gehen in verschiedene Schulen, wir haben Formate mit Geflüchteten gemacht, wo unter Anleitung kleine Kurzfilme gemacht werden konnten. Das ist wahrlich nicht so glamourös, es liegt mir aber sehr am Herzen.

Ich habe mein Amt jedenfalls angetreten mit der Meinung, dass man sich zu politischen Fragen äußern sollte.

Sie definieren Ihr Amt also politischer als ihre VorgängerInnen?

Iris Berben hat das auf ihre Art gemacht, ich gebe da keine Haltungsnoten. Auch Iris ist ja ein politischer Mensch,sie ist sehr engagiert, zum Beispiel gegen Antisemitismus. Das ist auch mir ein Anliegen. Der Rechtspopulismus ist eine Gefahr, weltweit. Um mal in Deutschland zu bleiben: Ich habe mich da immer sehr gegen die AfD positioniert. Generell erleben wir in der Gesellschaft eine Veränderung,wir sehen es in den USA, dort stehen sich zwei Blöcke, die Demokraten und die Republikaner, unversöhnlich gegenüber. So weit sind wir zum Glück noch lange nicht, aber wir sehen ja was passieren kann. Ich war ein politischer Mensch bevor ich Präsident der Filmakademie geworden bin und ich werde es auch danach sein. Ich halte es für selbstverständlich, sich politisch zu positionieren – als Präsident wie als Akademie insgesamt. Mir liegt auch das Thema Diversity am Herzen. Auch das halte ich im Jahr 2021 für selbstverständlich.

Vor den Gefahren des Rechtsradikalismus die sie eingangs angesprochen haben, warnt ja einer der nominierten Filme, „Je suis Karl“, ganz explizit.

Das Schöne an den sechs nominierten Filmen ist, dass sie geradezu exemplarisch die Bandbreite des deutschen Films zeigen. Alle sechs Filme sind politisch. Sie sind ästhetisch sehr unterschiedlich und bilden dabei die Bandbreite der Möglichkeiten von Regie-Handschriften ab.

Ist es ein im Vergleich zu den letzten Jahren also ein gutes Jahr für den Deutschen Film?

Ja. Es ist kein herausragendes aber ein gutes Jahr. Wenngleich es natürlich herausragende Leistungen in einzelnen Gewerken gibt.

Haben sich die Aufgaben durch die Pandemie gewandelt, erweitert?

Ich neige zu einem vorsichtigen Optimismus. Aber die Pandemie hat reingehauen, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen. Es war ein fatales Jahr. Ich bin froh, dass es das befürchtete Kinosterben nicht gegeben hat. Aber gerade für die Verleiher war es eine unglaublich komplizierte Situation. Auch für die Kinobetreiber war es kompliziert, sie brauchen je einen gewissen Vorlauf. Dann wurden die Filme verschoben und nun besteht die Gefahr, dass sich die Filme gegenseitig auffressen. Es ist ja gedreht worden, unter sehr schwierigen Bedingungen. Als Akademie bilden wir die Branche ja nur ab, für die gesamte Branche war es ein kompliziertes Jahr, aber da nehmen wir uns ja nicht aus der Gesellschaft heraus. Für Freelancer ging es teilweise an die Existenz. Leute haben ihren Beruf aufgeben müssen, weil sie nichts mehr verdient haben. Ich bin damit auch direkt konfrontiert worden, es war teilweise sehr traurig, was da zu hören war. Monika Grütters war sehr engagiert, sie stand da  an unserer Seite. Im ersten Jahr war sehr zu beklagen, dass die Kultur marginalisiert wurde. Ich habe da in Gesprächen, mit der Politik selber immer wieder dafür geworben und gesagt, ihr müsst da unbedingt nachlegen. Das ist dann auch geschehen.

Befürchten Sie, das manches einfach „weg“ ist und bleibt, weil sich das Publikum abgewöhnt hat, in Theater, Kino, Kleinkunst zu gehen?

Meine Befürchtung war, dass die Leute aus Angst, sich mit Corona anzustecken oder aus Gewohnheit, mit Chips und Netflix auf dem Sofa, nicht mehr in die Kinos gehen. Auch da bin aber vorsichtig optimistisch. Das Kinosterben hat nicht stattgefunden, auch dank der Unterstützung der Politik.

Da hat es funktioniert.

Ja, da hat es funktioniert, dankenswerterweise. Aber es scheint schon so zu sein, dass die Leute wieder ins Kino gehen. Mit etwas Vorsicht vielleicht und nicht ganz so stürmisch, aber sie gehen ins Kino. Ich kann da nur immer wieder sagen: Ein Kinobesuch ist etwas komplett anderes! Ich habe es ja an mir selber gemerkt, ich habe es mir auch mit Netflix auf dem Sofa gemütlich gemacht, aber es ist etwas komplett anderes: die große Leinwand, das gemeinsame Kinoerleben, das gemeinsame Lachen. Wir haben doch diese sozialen Energien alle vermisst, egal ob nun im Fußballstadion oder im Konzert oder eben im Kino. Wir haben das gemeinsame Erleben doch vermisst. Insofern bin ich optimistisch, das es die Leute nun, wenn es wieder möglich ist, wieder in die Kinos treibt.

Wie lässt sich das Amt des Akademiepräsidenten mit dem eigenen Drehen verbinden? Gibt es da Interessenkonflikte?

Nein, ich bin ja nicht der Bundespräsident. Ich habe da keinen Fulltime-Job oder einen Schreibtisch in der Akademie, ,ich mache das von zuhause aus. Ich habe gedreht, ich spiele ja am Deutschen Theater Berlin. Vor dem Filmpreis gibt es mehr zu tun als in anderen Monaten, aber das ließ sich alles sehr gut unter einen Hut bringen. Trotzdem hat mich, wie wahrscheinlich fast alle Kollegen, die Corona-Zeit sehr belastet.

In der Filmakademie waren von Anfang an, und sei es als Doppelspitze, stets SchauspielerInnen im Präsidentenamt. Gibt es darüber zwischen den Gewerken Konsens, tut man sich in der Politik mit bekannten Schauspielern als Türöffner leichter?

Ich weiß nicht, ob es Zufall ist oder nicht. Vielleicht haben sich Schauspieler auch eher diese öffentliche Rolle zugetraut. Als Türöffner kann es im Gespräch nicht schaden, wenn einen der oder die Politikerin kennt. Aber ich glaube, es war eher Zufall.

Ein anderes Thema, das uns vor ein paar Monaten sehr beschäftigt hat ist die Initiative #allesdichtmachen. Rückblickend betrachtet: Hat das auch etwas Positives bewirkt? Ist da unter Kollegen mehr kaputtgegangen oder auch etwas Neues entstanden? Wäre es an der Akademie gewesen, da einen eigenen Beitrag zu leisten?

Ich persönlich fand das betrüblich, ich habe mich gleich dagegen positioniert. Weil ich der Überzeugung war, dass diese Aktion in der Form völlig daneben war.

Sie hatten sich aber, wenn ich mich da recht erinnere dann doch für die Kollegen auch ausgleichend in die Bresche geworfen.

In die Bresche geworfen habe ich mich, als es darum ging, dass die KollegInnen nicht mehr arbeiten dürften. Da gab es eine sehr überhastete Reaktion eines SPD-Abgeordneten, der das später auch bereut und zurückgenommen hat. Eine Forderung, sie sollten nicht mehr arbeiten dürfen, die ist natürlich fatal. Da habe ich mich sofort vor meine Kollegen gestellt und gesagt, natürlich dürfen die eine Aktion machen, das darf man nicht zensieren und erst Recht dürfen die keine beruflichen Konsequenzen haben. Und dennoch, die Aktion selber fand ich falsch.  Auf der anderen Seite war es für mich persönlich sehr schwierig, mich gegen 53 meiner Kolleginnen und Kollegen, die ich schätze, mit denen ich zum Teil schon wunderbare Arbeiten gemacht habe, zu stellen.

Das war offensichtlich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte nicht eine Gegenaktion sondern eine eigene. Es gab ja vorher schon kleine Versuche, darauf aufmerksam zu machen, wie schwer es in der Branche ist, die aber weitgehend ungehört dahinplätscherten. Hätte mich jemand gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmache, hätte ich klar gesagt, nein, das geht schief, selbst wenn ich vielleicht mache Ideen dahinter gut finde. Mir war klar, dass es nicht funktionieren kann, wenn nicht jemand offensiv dahintersteht und es als satirische Aktion in den Talkshows präsentiert. Den Ansatz dahinter kann ich aber durchaus nachvollziehen: Wir sind nicht gehört worden, dann nehmen wir das mit künstlerischen Mitteln in die Hand – was natürlich schiefgegangen ist. Meine Frage war eigentlich: Wäre es an der Filmakademie gewesen, statt dieser destruktiven Aktion selber mit all den guten, tollen interessanten Menschen, Köpfen in der Akademie mit künstlerischen Mitteln eine konstruktive Aktion auf die Beine zu stellen: So könnte es gehen, wir jammern nicht, aber so könnte es aussehen, wie uns in dieser Situation geholfen werden muss.

Natürlich hätten wir einen Film produzieren können, aber was hätte darin sein sollen, was die Leute nicht ohnehin schon wussten? Setzt die Masken auf, wenn es Impfstoffe gibt, lasst euch impfen, seid vorsichtig und seid freundlich miteinander und seid solidarisch.

Wenn Sie mir noch ein Wort sagen, worauf Sie sich am meisten freuen, an diesem ersten Oktober, dann wäre das für mich das noch viel schönere Schlusswort.

Ich freue mich auf den ersten Oktober vor allem deswegen, weil wir wieder gemeinsam in einem Raum sind.. Und da hoffe ich, dass das Prinzip der Solidarität, an das ich zutiefst glaube, im Leben wie in der Filmbranche wieder durchsetzen möge – durch die Laune, die das Kino uns allen macht.

Interview Thomas Bauer