
Es beinhaltet schon eine gewisse Ironie, dass der Mann, der als Geschäftsführer der Dachgesellschaft des größten deutschen Film- und Fernsehproduzenten unter anderem auch für die Ausbildungsgänge der neu gegründeten „Academy“ zuständig ist, alle seine Führungsposten by doing und ohne jede offizielle Ausbildung erlangt und ausgefüllt hat sowie (mit höchstem Abschluss „Abitur“) eine Professur an der Filmakademie Baden-Württemberg inne hat . Ein spannendes Interview mt einem spannenden Mann, Joachim Kosack, Geschäftsführer der UFA GmbH über Wege in der und in die Branche, hinter und vor der Kamera – und über Veränderungen in der Besetzung auch durch die „Streamer“
Wie und warum hat sich die Branche so geändert, dass man Ausbildungsgänge für sehr attraktiv klingende Berufe offensiv anbieten muss? Und ist das bei allen vier „Berufen“ so? (Filmgeschäftsführer, Aufnahmeleiter, Regieassistenz, Script/Continuity)?
Grundsätzlich könnte man sogar noch mehr anbieten. Wir haben uns jetzt aber erst einmal auf diese vier Berufszweige konzentriert. Das heißt nicht, dass wir das nicht auch in Richtung Gewerke, also Kameraassistent:in, Garderobiere und so weiter machen müssten. Der Bedarf ist riesig und die Branche konnte sich jahrelang in Sicherheit wiegen, da viele junge Leute zu Film und Fernsehen wollten. Das ist vielleicht grundsätzlich immer noch so. Aber es gibt mehrere Strömungen, die das mittlerweile schwerer machen: Die Demografie hat sich geändert, gleichzeitig boomt aber unsere Branche, ähnlich wie in den 90ern. In den späten 0er und frühen 10er Jahren wurde in Deutschland weitaus weniger produziert als Mitte der 90er oder heute.
Sie meinen, durch die Streamer, die dazugekommen sind?
Vor allem durch die Streamer, ja. Es wird einfach viel mehr und zugleich kleinteiliger beauftragt. Es gibt längst nicht mehr so viele langlaufende Produktionen mit eingespielten oder vielleicht auch etwas kleineren Teams. Auch fast jede Serie ist heute nach wenigen Staffeln vorbei.
Es ist ein fragmentierter Markt mit einer anderen demografischen Situation. Dazu kommt: Neben dem klassischen Bewegtbild gibt es auch in der Gameswelt und vor allem in der Social-Media-Welt Menschen, die sagen, ich mache das einfach selbst. So wie auch im Musikbusiness vor Jahren die Leute sagten, ich mache mit „Garage Band“ jetzt meine eigene Musik. Diese großen Strukturen sind gar nicht mehr vonnöten, um in die Branche reinzukommen.
Aber würde das nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass man die ganzen Funktionen nicht mehr braucht?
In dem Moment, wo ich produziere, brauche ich beispielsweise die Script/Continuity. Aber eine Regieassistenz von heute denkt vielleicht, warum soll ich noch weiter Assistenz machen? Ich habe eine gute Freundin oder einen guten Freund, mit denen mache ich einen Instagram-Channel oder ein Startup auf.
Kann man das, was Sie in der UFA Academy anbieten nicht auch in einer Ausbildung lernen? Bildet die Branche nicht genug aus?
Wir bilden schon seit Jahren aus. Die UFA hat den großen Vorteil, dass wir durch die UFA Show & Factual und die UFA Serial Drama zwei Firmen haben, die in den Nullerjahren bereits ausbilden mussten, weil wir durch die Explosion bei den Castingshows, aber auch im Telenovela- und Daily Serien-Bereich, viele Teams bestücken mussten. Auch damals waren das nicht unbedingt die Projekte, wo alle als erstes hinwollten. Natürlich ist es attraktiver, für große TV-Events oder Kinofilme zu arbeiten. Also mussten wir unsere Mitarbeitenden zum Beispiel im Autor:innen-Bereich schon damals selber ausbilden. Dann kam vonseiten der Politik eine Begrenzung der Möglichkeiten, Leute über Praktika in den Job zu bekommen – was im Film- und Fernsehbereich gang und gäbe war. Das waren nicht unbedingt Lehrberufe, sondern Berufe, in denen man sich vom Setrunner über die Aufnahmeassistenz zur Aufnahmeleitung bis hin zur Produktionsleitung hocharbeiten konnte. Dem mussten wir uns stellen. Seit zwanzig Jahren bieten wir auch IHK-geprüfte Ausbildungen an. Audiovisuelle:r Medienkauffrau/-kaufmann beispielsweise oder Mediengestalter:in Bild & Ton für den technischen Zweig. Beide Abschlüsse bieten eine Breite an beruflichen Möglichkeiten. Wir machen da also schon sehr viel.
Bei der UFA Academy geht es aber nun auch darum, dass wir neben diesen klassischen Einsteigerausbildungen auch in anderen soziografischen Strukturen Menschen ansprechen wollen, die bisher gar nicht auf die Idee gekommen wären, bei uns sein zu wollen. Menschen, die in einer zweiten oder dritten Karriere doch in Filmstrukturen hereingehen und das als Quereinsteiger:innen machen. Die Academy wendet sich ganz klar an Quereinsteiger:innen, grob im Altersbereich von 25 bis 60. Die Spanne ist sehr groß.
Sagen wir einmal, ich war Steuerfachgehilf:in in Plauen, meine Kinder sind aus dem Haus und ich habe Freund:innen in Potsdam oder Berlin. Warum ziehe ich nicht um und werde dort Filmgeschäftsführer:in? Das klingt etwas flapsig, aber so offen ist es gemeint.
OK, ich hätte jetzt eher vermutet, dass es darum geht, Leute, die auf die ein oder andere Weise schon in der Branche tätig sind, in diese Berufe, in diese Tätigkeiten zu bringen. Denn ich wäre davon ausgegangen, dass das Herzblut für die Branche – dazu kommen wir wahrscheinlich auch noch, wenn es um Ihren Weg geht – zwingende Voraussetzung ist.
Absolut! Das sollte es auch sein. Aber nochmal zu dem Beispiel – weiß denn ein:e Kino-begeisterte:r Steuerberater:in in Plauen, dass es den Beruf der Filmgeschäftsführung für sie:ihn gibt? Das muss man erst einmal klarmachen. Das Thema Regieassistenz ist ein bisschen anders gelagert. An der Filmhochschule Konrad Wolf zum Beispiel bewerben sich jedes Jahr 600 Menschen um einen Studienplatz als Regisseur:in auf fünf bis zehn Plätze im Jahr. Ich frage mich, was die 590 machen, die keinen Platz erhalten haben. Es schafft vielleicht nicht jede:r direkt auf den Regiestuhl. Aber der Beruf Regieassistent:in ist ein hochdekorierter und gestalterisch wichtiger Job. Es kann hier also natürlich sein, dass Bewerber:innen für die Academy schon einmal Kontakt damit hatten.
Aber auch das Beispiel Script/Continuity: Das ist ein Beruf, den muss ich erst einmal kennenlernen bzw. erst einmal wissen, dass es so etwas als Beruf am Set gibt. Das können natürlich Menschen sein, die eine Affinität zu unserem Medium haben, die aber bisher nicht wussten, dass es da für sie einen Platz geben könnte. Diese Branche ist, wie viele andere Branchen auch, sehr hermetisch. Wir sind eine sehr weiße, akademisch geprägte Großstadtblase. Ein Gedanke an dem Programm ist, sich zu öffnen und Leute zu inspirieren, die darauf sonst nicht gekommen wären.
Von den Filmhochschulen kommen die gesuchten Berufsbilder also nicht – Regie ja, Regieassistenz nein?
Genau, die Filmhochschulen bilden akademische oder kreativ-akademische Berufe aus. Es gibt Weiterbildungen im Bereich Filmgeschäftsführung oder Produktionsleitung. Die Filmakademie Ludwigsburg zum Beispiel baut gerade einen Studiengang für Produktionsleitung, Herstellungsleitung und Line-Producing auf. Denn auch das sogenannte Produktions-Studium an einer Filmhochschule ist immer eher in die kreative Richtung Produzent:in ausgelegt und weniger in die organisatorisch-kaufmännische Richtung Produktionsleitung/Herstellungsleitung.
Und vermutlich auch stärker in Richtung Spielfilm als in Richtung Daily etc.
Jein, Produzent:in kann man auch bei einer Daily werden. Aber es geht dann weniger um die administrativ produktionstechnischen, sondern eher um die kreativen, finanzierungstechnischen Fragen. Das ist der Unterschied zwischen diesen Berufsbildern. Das können die Filmhochschulen gar nicht alles ausbilden. Sie sind sehr stark konzentriert auf Schnitt, auf Ausstattung, auf Journalismus, auf Produktion, Regie, Drehbuch. Aber so etwas wie Aufnahmeleitung kann man nirgendwo wirklich lernen.
Ich liebe es, nicht nur bei Schauspielern, so spannende Wege zu lesen, wie den Ihren. Wäre so eine Karriere, vom Kabarettisten zum Autor, vom Produzenten und Redaktionsleiter bis zum Geschäftsführer eines so großen Konzerns, beziehungsweise der Dach-GmbH der UFA, heute noch möglich?
Ich bin mir sicher Ja. In der Medienbranche gibt es viele eher ungewöhnliche Wege. Gerade auch im Managementbereich großer Unternehmen gibt es die Mischung aus sehr fachnahen Expert:innen aber auch Leiter:innen, die sich innerhalb von Konzernen in bestimmte Managementstrukturen hochgearbeitet haben. Bei mir ist das Besondere, dass ich gar keine Ausbildung habe.
Ich hatte in der Vorbereitung auf dieses Gespräch keine Hinweise auf eine Ausbildung oder ein Studium gefunden…
Ich habe nach dem Abitur nie wieder eine Prüfung gemacht. Das war auch damals ungewöhnlich, aber das hat sich so ergeben. Es gab bei mir einen Punkt im Leben, wo mir aus der Provinz kommend das große Staatstheater fehlte. Also so etwas wie eine Assistenz bei Herrn Castorf oder Herrn Peymann, um wirklich weiterzukommen.
In welcher Funktion am Theater?
Ich hatte mich zum Regisseur hochgearbeitet, und mit 30 Jahren hatte ich 30 Stücke inszeniert und war in der Funktion eines Oberspielleiters in Coburg. Aber in Coburg „hielt kein ICE“, da kommt keiner vorbei. Während ich darauf wartete, dass mein damaliger Intendant in eine andere Intendanz wechselte, kam ich über meine Schwester als Storyliner zu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Ich war jung und brauchte das Geld und die etablierten Leute wollten das damals nicht machen. Das war für sie Trash, das machte man nicht. Da landeten Jurist:innen, Theaterleute, Fahrradkuriere, Journalist:innen – und viele von ihnen gibt es heute noch in der Branche. Dadurch, dass ich schon am Theater in Führungspositionen war, übernahm ich dort auch eher Führungsaufgaben. Dann landete ich beim Sender und wurde Geschäftsführer von SAT.1.
Was man mal eben nebenbei so wird…
… es ist auch learning by doing dabei.
Ich wollte eigentlich immer am Theater bleiben. Ich habe damals gesagt, dass ich das ein halbes Jahr mache und dann zum Theater zurückkehre. Das ist nun 25 Jahre her. Aber wenn mich heute jemand fragen würde, ob ich nicht Intendant in Ulm werden möchte… Ich glaube, ich würde das gerne machen. Es ist ein Stück weit „so passiert“. Ich bin heute auch Professor in Ludwigsburg und sage meinen Student:innen immer, dass man einerseits natürlich immer das machen sollte, was man machen will – dass man aber auch immer darüber reflektieren sollte, worin man eigentlich gut ist. Wo liegen die eigenen Stärken? Nico Hofmann und ich haben uns vor zirka 20 Jahren kennengelernt und uns war sehr schnell klar, dass wir uns sehr gut ergänzen. Nico ist ein ganz starker, strategischer Impulsgeber und „Außenminister“. Aber er braucht auch jemanden, der große Lust verspürt, Menschen anzuleiten, sich in solchen Strukturen zu entwickeln. Letztlich geht es in solchen Positionen darum, Menschen dazu zu bringen, sich zu entwickeln. Es gibt sicher Fußballtrainer:innen, deren Assistent:innen auch fachspezifisch besser sind – aber sie sind dann eben gute Trainer:innen, auch wenn die anderen noch bessere Taktiker:innen sind.
Ich bin sehr dankbar und demütig, dass ich all diese Möglichkeiten hatte und habe. Was in meiner Karriere sicher auch ungewöhnlich ist, ist dass ich sowohl Daily Soaps oder Telenovelas, aber auch für den Theaterkanal „Lulu“ und „Baal“, sowie „Die Flucht“ und „Stauffenberg“ produziert habe. Und das finde ich am tollsten, dass ich in allen Bereichen inhaltlich arbeiten durfte.
Sie haben es teilweise schon beantwortet – wenn an der Spitze eines Unternehmens so profilierte, kreative Menschen mit viel Herzblut für ihre Vorstellung von Fiction stehen wie Sie, Nico Hofmann und die Geschäftsführungs-KollegInnen, wie verteilen sich da die Rollen und Aufgaben – und wie schafft man es, so produktiv zu bleiben, und Machtkämpfe zu vermeiden?
Die Verteilung zwischen Nico Hofmann und mir ist ganz klar. Die UFA GmbH produziert nicht. Wir machen Räume auf und moderieren Prozesse. Nico Hofmann steht natürlich sehr für Programm und ist sehr stark in der Akquise tätig. Ich habe mich schon vor drei Jahren mit ihm darauf geeinigt, dass ich mich aus dem aktiven Produktionsgeschäft mehr und mehr zurückziehe. Denn es ist wichtig, dass es in einem Unternehmen wie der UFA jemanden gibt, der sich um Strategien, Talentbindung, Management, Diversitätsthemen, grünes Produzieren und so weiter kümmert. Die Geschäftsführer:innen der UFA Fiction sind selber starke Hands-on-Produzent:innen auf Projekten. Ich bin sehr gerne weiterhin Geschäftsführer der UFA Serial Drama und dort zum Beispiel zuständig für die drei langlaufenden Serien („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Unter uns“ und „Alles was zählt“, Red.). Diese Serien sind solche Kronjuwelen und es ist enorm wichtig, dass Markus Brunnemann und ich als Geschäftsführer dafür sorgen können, dass die Teams auch die bestmögliche Begleitung bekommen. Es ist wahnsinnig wichtig, dass diese Teams stark zusammenstehen und gute Arbeitsbedingungen haben.
Machtkämpfe scheint es durch diese klare Aufgabenverteilung also nicht zu geben?
Nein, ich empfinde das nicht so. Natürlich gibt es Strukturdebatten: Wie viel muss jede:r von jeder:m wissen, welche Räume hat jede:r. Es ist wichtig, dass neben den Geschäftsführer:innen auch sehr starke Persönlichkeiten als Produzent:innen im Markt agieren. Der Markt hat sich in den letzten fünf Jahren stark fragmentiert. Als ich vor zehn Jahren zurück zur UFA gekommen bin und Nico Hofmann, Markus Brunnemann und ich die UFA Fiction gemerged haben, gab es vielleicht 8 bis 10 Hauptentscheider:innen über die Aufträge, heute gibt es 20 bis 30. Da muss man sich in der Akquise und in den Development-Prozessen sehr strategisch aufstellen.
Wodurch hat sich die Zahl der Entscheider so vergrößert?
Es gibt heute deutlich mehr Auftraggeber. Vor zehn Jahren gab es das ZDF und die ARD natürlich mit den Landesrundfunkanstalten. RTL und SAT.1 haben damals sehr viel weniger fiktional beauftragt. Heute gibt es RTL+ und RTL, es gibt Netflix, Amazon, TNT usw., das hat sich ja vervielfacht. Auch in der ARD gibt es nun zusätzlich die Mediatheken.
Für die auch gezielt produziert wird…
Sie suchen auch alle zurecht klare Ansprechpartner:innen, die für ihre Plattformen die richtigen Sachen anbieten. Die Chancenvielfalt ist toll. Aber es ist gleichzeitig eine große Herausforderung an die UFA, sich vielfältiger, diverser aufzustellen.
Haben diese neuen Player auch andere Regeln mitgebracht und einen neuen Wettbewerb um die guten Leute, derer sich die öffentlich-rechtlichen und die privaten Sender früher sicher sein konnten. Haben sich da die Machtverhältnisse auch von Seiten der Auftraggeber verschoben?
Je mehr produziert wird, desto mehr ist das einzelne Top-Talent wert. So wie beispielsweise RTL damals mit Pauken und Trompeten Thomas Gottschalk für eine Late-Night kaufte. Netflix beispielsweise nimmt sehr viel Geld in die Hand, um Top-Autor:innen und Schreiber:innen an sich zu binden. Der „War of Talents“ tobt seit Jahren, aber das weitet sich immer mehr auch in die Bindung und Bezahlung von Teams aus.
Wie meinen Sie das?
Auch gute Kameraleute, gute Kameraassistent:innen können nun höhere Gagen fordern, denn aktuell wird es durch die Marktsituation bezahlt.
Gilt das auch für Schauspieler:innen?
Im Großen und Ganzen nein. Wir haben in Deutschland nicht die Tradition des Starkults. Aber natürlich gibt es Schauspielerinnen und Schauspieler, die auch Verkaufsargumente sind. Und das ist auch gut so.
Ich freue mich, dass man immer wieder auf neue Talente stößt. Die Anzahl von Menschen, die drehen können und die auch die Chance haben, bekannt zu werden und Karriere zu machen, wird größer. Aber wenn ich zum Beispiel aus der Politik gefragt werde, wo wir denn den Mangel haben, antworte ich: Überall, außer bei den Schauspieler:innen.
Das stimmt aber natürlich auch nur zum Teil. Es gibt wahnsinnige Unterschiede im Talent und im Starpotential.
Haben sich denn die Chancen auf einen Einstieg verbessert, weil die Streamer anders schauen als die TV-Sender?
Ich glaube nicht, dass sie anders schauen. Aber durch die Streamer wird deutlich mehr gedreht und damit steigern sich insgesamt die Chancen und Möglichkeiten.
Da es bei den Streamern noch keine „Sendergesichter“ gibt, wäre es ja möglich, dass dort breiter geschaut wird.
Auch bei den Streamern tue ich mich leichter, eine Produktion anzubieten, wenn eine bekannte Persönlichkeit dabei ist, als wenn ein „No-Name“ die Hauptrolle spielt. Ich finde aber, dass sich auch bei den Öffentlich-Rechtlichen sehr viel getan hat, zum Beispiel, dass sich mit den Mediathek-Programmen die Möglichkeiten absolut vergrößert haben. Auch wenn man die Besetzungslisten von Filmen in den öffentlich-rechtlichen Kanälen ansieht, dann finde ich, dass das schon breiter geworden ist.
Bei diesem Überangebot fragt sich jeder Sender, wie bekomme ich marketingtechnisch, Social-Media-technisch und pressetechnisch Aufmerksamkeit auf mein Programm? Das machen die Streamer ja ganz genauso.
Und dafür brauchen sie auch die „Namen“?
Das kann schon helfen, es kann natürlich auch ein Bestseller Aufmerksamkeit generieren. Es geht immer um die Mischung, wie man ein Ensemble spannend gestaltet und gleichzeitig mit „Namen“ besetzt. Übrigens, am allerengsten in der Besetzung empfinde ich bis heute das Kino. Die Verleiher sind noch viel enger als die Öffentlich-Rechtlichen orientiert an den zehn Frauen und den zehn Männern, mit denen immer wieder operiert wird. Aber auch das ist nachvollziehbar.
Wenn es so ist, dass in Deutschland ein Publikum wegen SchauspielerIn xy ins Kino geht.
Das ist natürlich immer wieder die Frage – ist das wirklich so? Da haben wir in Deutschland einen anderen Umgang mit Stars als zum Beispiel die Amerikaner:innen.
Mit Blick auf die heutigen Abnehmer von Produktionen – ist es leichter geworden, das zu produzieren, was sie selber auch als „richtig“ empfinden, ohne durch die Instanzen zu müssen?
Ich habe mich damals beim Sender sehr bemüht, meinen Redakteur:innen klar zu sagen: Wir begleiten kreative Prozesse. Aber die Kreativität entsteht bei denen, die sie machen. Je mehr Freiräume man lässt, desto mehr wird man ernten können und zurückbekommen.
Diese Einstellung teile ich natürlich voll – nur ist sie nicht überall gleichermaßen verbreitet.
Nein, das ist auch ein Problem. Deutschland ist geprägt vom Beruf der Dramaturg:innen und Redakteur:innen. Das ist am Theater und im Fernsehbereich im angelsächsischen Raum längst nicht so verbreitet.
Aber Sie sehen da keinen nennenswerten Unterschied in der Praxis bei Streamern gegenüber den Sendern?
Die Streamer bauen auch mehr und mehr Redaktionen auf. Und diese haben sehr genaue Vorstellungen davon, wie sie Programme bewerten. Es wird klar mit Kennziffern gearbeitet. Das ist dann mehr an marketingtechnischen Gesichtspunkten orientiert als an dramaturgischem Geschmack, aber ich würde auch nicht sagen, dass es so zugeht, das gesagt würde, wir finden euch gut, macht mal was ihr wollt.
Solche Sprüche hatte man ja anfangs öfter gehört.
Das empfinde ich heute nicht ganz so.
Sehe ich das falsch, dass sich die UFA heute weitgehend aus dem Kinobereich heraushält und sich stärker auf Fernsehen und Streaming konzentriert?
Kino ist kein Kernbereich unseres Geschäfts, aber ob „Der Junge muss an die frische Luft“ oder „Leander Haußmanns Stasikomödie“ – wir produzieren im gehobenen Mainstream auch regelmäßig fürs Kino.
Verleihgedanken gibt es aber nicht?
Natürlich gab es immer wieder einmal Gedanken, aber so wie wir auch keine eigenen Studios haben, haben wir uns bislang auch aus dem Verleihgeschäft rausgehalten.
Lassen Sie uns noch einmal kurz über Schauspieler und die Veränderungen durch die Internationalisierung reden. Wächst die Konkurrenz durch das internationalere Arbeiten stärker als der Markt oder wachsen die Chancen für die Breite der SchauspielerInnen gesehen und besetzt zu werden?
Es wachsen absolut die Chancen. Es gibt einfach viel mehr Möglichkeiten.
Und die Konkurrenz, die von außen dazu kommt, durch SchauspielerInnen die aus anderen Ländern in die Produktionen drängen, sehen Sie als geringer?
Die Gefahr sehe ich nicht so sehr. Es ist ja längst so, dass auch deutsche Produktionen stark international verwertet werden. „Deutschland83“ war eine der ersten Serien, die untertitelt in Amerika liefen. Der Wunsch nach „local“ Programm auch von internationalen Konzernen ist absolut gegeben. Und da sehe ich die Chancen für deutsche Schauspieler:innen als weit größer als die Konkurrenz.
Inwieweit schalten Sie sich selber in den Besetzungsprozess ein?
Wenn man als Produzent arbeitet, dann geht man natürlich mit offenen Augen in Filme und ins Theater. Und natürlich frage ich dann Kolleg:innen wie zum Beispiel Nina Haun (Casting Direktorin der UFA, Interview in Ausgabe I/2022, Red.), ob sie die- oder denjenigen kennt, wenn ich jemanden toll finde. Das ist nicht mehr ganz so mein Alltagsgeschäft, weil ich nicht mehr so stark hands-on produziere, aber man muss sich in seinem Markt kenntnisreich halten.
Corona hat ja vieles gebremst. Was es aber beschleunigt hat, das ist die Entwicklung zu Online-Castings, simpel per Skype, Zoom oder Teams oder eben perfektioniert über das Virtual Casting Studio VCS. Glauben Sie, dass das bleibt, wenn man sich nun wieder leichter live zum Casting treffen kann?
Wenn es ans Konstellations-Casting geht, dann ist jede:r froh, dass man sich wieder live trifft. Aber für die Vorauswahl finde ich es eine sehr gute Möglichkeit, eben nicht nur die anzusehen, die man kennt oder auch auf vorhandene Showreels aus der Vergangenheit zurückgreifen zu müssen. Ich bin überzeugt, dass das bleiben wird.
Interview Thomas Bauer