Zehn Shooting Stars hat die European Film Promotion auch dieses Jahr wieder gekürt. Mit Emilio Sakraya, dem Deutschen Shooting Star 2022 sprach ca:stmag im Rahmen eines Schwerpunktthemas „People of Color“ über den beeindruckenden Werdegang des 25.jährigen Schauspielers und Sängers.

Sie wurden als European Shooting Star ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Bezeichnung?
Ich finde, das klingt erst einmal gut (lacht). Vor allem weil noch das European davorsteht. Es ist ein besonderes Gefühl, international einer von zehn Ausgewählten zu sein.
Das klingt so, als würden Sie auch eine internationale Karriere planen …
Ja, schon. Aber was ist heutzutage überhaupt noch international? Ich habe zum Beispiel schon ein paar Netflix-Serien gedreht. So etwas betrachte ich auch als international. Streaming ist ein riesiges Geschenk, weil wir dadurch weltweit stattfinden. Netflix hat über 200 Millionen Abonnenten. Hinzu kommen bestimmt noch einmal 450 Millionen Leute, die mitschauen. Die Filmsprache ist generell international.
Sie standen bereits als Kind die ersten Male vor der Kamera. Können Sie sich noch daran erinnern, wie Ihr Interesse an der Schauspielerei entstand?
Ich war noch sehr jung, als mich Material-Arts-Filme mit Leuten wie Jackie Chan oder Bruce Lee fasziniert haben. Ich habe mich in den Kampfsport verliebt und mich viel damit beschäftigt. Das habe ich auch sehr lange relativ professionell gemacht. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mich auch Film fasziniert und ich ein Teil davon sein wollte. Ich wollte ein Teil der Branche sein, die Leute in den Bann zieht. Das habe ich meiner Mutter immer wieder erzählt, bis sie mich bei einer Agentur angemeldet hat. Daraufhin kamen die ersten Castings. Mit acht, neun Jahren hatte ich meine ersten Drehs. Und mit 15 oder 16 habe ich entschieden, dass das nicht nur ein Kindheitstraum ist, sondern dass ich das wirklich machen möchte.
Was gab den Ausschlag dafür?
Ich glaube, das hängt mit dem tatsächlichen Können zusammen. Man kann einen Wunsch oder einen Traum haben. Aber um das wirklich zu machen, benötigt man auch Können und Durchhaltevermögen. Mir wurde bereits in meiner Erziehung vermittelt, dass man alles erreichen kann, wenn man alles gibt. Daher war ich mir sicher, dass das nicht schiefgehen würde. Daran habe ich noch nicht einmal gedacht.
Wenn man sich Ihre Vita anschaut, ging offensichtlich auch nicht viel schief. Sie waren über all die Jahre immer sehr gut beschäftigt. Gab es nie Durststrecken in Ihrer Karriere?
Ich hatte nie Phasen, in denen ich zu Hause rumsaß und mich gefragt habe, wann das nächste Projekt kommt. Ich steckte nie in einer wirklich brenzligen Situation. Aber dass ich durchgehend vielleicht zwei große Projekte im Jahr habe, ist erst seit etwa zwei, drei Jahren der Fall. Früher hatte ich im Jahr vielleicht fünf, sechs verschiedene Projekte. Allerdings waren das dann eher kleinere Rollen mit fünf bis zehn Drehtagen. Ich glaube, dass es jetzt erst so richtig anfängt. Die richtig spannenden Rollen kommen erst noch. Der erste Prozess besteht darin, aus dem Kinderollen-Profil herauszuspringen und erwachsene Figuren zu spielen.
Sie haben keine Schauspielschule besucht. War das eine bewusste Entscheidung?
Bei mir lief alles über Learning by doing. Ich glaube nicht, dass man die Schauspielerei wirklich lernen kann. Man braucht ein gewisses Grundtalent. Und dann gibt es eben verschiedene Wege, die man gehen kann. Manche gehen an die Uni und studieren Schauspiel. Für andere ist das keine Option. Als ich meine Schulzeit beendet hatte, wollte ich drehen. Es hätte für mich keinen Sinn gemacht, auf eine Uni zu gehen und zwei, drei Jahre keinen Film drehen zu können. Warum sollte ich mich irgendwo einsperren lassen und Techniken üben, wenn ich nicht die Dinge machen darf, die ich machen möchte? Das muss jeder für sich selber entscheiden. Für mich war klar, dass Theater nicht mein Ding ist und ich lieber vor der Kamera stehen möchte. Daher war das für mich der logische Weg.
Arbeiten Sie dafür gelegentlich mit einem Schauspiel-Coach zusammen?
Das ist verschieden. Ich habe zum Beispiel kürzlich mit dem Regisseur Fatih Akin einen Film gedreht, bei dem ich die Rolle des Rappers Xatar übernommen habe. Hier war es wichtig, dass ich persönlich viel Zeit mit Xatar verbringe. Ich musste analysieren, wie er sich bewegt, wie er lacht und so weiter. Aber es gibt auch Projekte, bei denen ich in der Vorbereitung mit jemandem zusammenarbeite.
Können Sie uns verraten, wie Sie sich grundsätzlich auf Ihre Rollen vorbereiten?
Ich habe immer eine sehr intensive Vorbereitungszeit, die etwa sechs Wochen vor dem Dreh beginnt. Ich setze mich sehr intensiv mit dem Drehbuch auseinander, mache mir sehr viele Notizen, markiere meine Texte und nummeriere die Szenen, sodass ich sie später schnell aufklappen kann. Danach baue ich mir eine Vorgeschichte zu meiner Figur. Wie bin ich aufgewachsen? Wer sind meine Eltern? Wer war mein erster Freund in der Grundschule? Mit wem hatte ich meinen ersten Kuss? Wer war meine erste große Liebe? Mit solchen Fragen baue ich mir ein immer detaillierteres Gerüst zu meiner Figur. Ich schreibe mir das allerdings nicht auf. Das passiert alles in meinem Kopf, zum Beispiel wenn ich unterwegs bin und mit der U-Bahn fahre. Wenn dann der erste Drehtag stattfindet, ist das wie ein gut geölter Motor und alles funktioniert wie von selbst. Aber wie gesagt: Wenn ich eine lebende Figur spiele, wie jetzt Xatar, dann kann ich mir nicht selber ein Gerüst bauen. Das ist durch den realen Menschen vorgegeben. Ich muss mir praktisch das Gerüst von einem bestehenden Gebäude nehmen. Das war eine sehr interessante Arbeit.
Stichwort Musik: Sie sind auch als Musiker tätig und haben zum Beispiel im Jahr 2020 das Album „Roter Sand“ herausgebracht. Außerdem sind Sie im Mode-Bereich tätig geworden. Welche Rollen spielen diese Tätigkeiten in Ihrem Leben?
Ich bin grundsätzlich ein kreativer Mensch und mache gerne Sachen, die mir Spaß bereiten. Das ist für mich Musik. Ich mache schon sehr lange Musik, spiele Klavier, Gitarre, singe und war in einer Schul-Band. Irgendwann habe ich beschlossen, meine eigenen Songs zu schreiben. Das Thema Mode interessiert mich grundsätzlich. Als es mit Corona losging, habe ich mich hingesetzt und meinen eigenen Brand entwickelt.
Sprechen wir über Ihr berufliches Umfeld. Was für ein Team existiert um Sie herum?
Ein sehr gutes (lacht).
Das klingt vielversprechend. Lassen Sie sich von einer Agentur vertreten?
Nein, nicht mehr. Ich habe lange mit Agenturen zusammengearbeitet, heute habe ich ein Management. Ich glaube, dass ein Agent, der auch noch 20 andere Schauspieler vertritt, einen nicht so gut vertreten kann wie ein Manager, der nur einen selbst betreut. Für mich ist die Arbeit sehr persönlich und intensiv. Das beinhaltet auch, dass man vielleicht am Samstag oder Sonntag noch Sachen bespricht. Die Agenturen sind mir dabei zu bürokratisch. Bei denen ist das Telefon um 18 Uhr aus. Das ist nicht die Art und Weise, wie ich arbeiten möchte. Es gibt vier unterschiedliche Leute, mit denen ich zusammenarbeite – von Management und Assistenten bis hin zum Stylisten. So kann ich mich voll auf meine Arbeit konzentrieren.
Das klingt so, als würden Sie von den klassischen Agenturen nicht viel halten …
Nein, das stimmt nicht. Für den Einstieg ist eine Agentur super wichtig. Aber heutzutage bin ich ohnehin mit den Produzenten und Regisseuren eher direkt im Kontakt. Man bespricht eigentlich eher, was man als Nächstes dreht, als dass man darauf wartet, dass einem die Agentur Casting-Vorschläge schickt. Ich bin glücklicherweise in einer anderen Phase meiner Karriere. Früher oder später möchte ich auch hinter die Kamera springen, meine eigenen Stoffe entwickeln und produzieren. Irgendwann werde ich bestimmt auch Regie führen.
Viele Schauspieler mit einem ausländischen Aussehen beklagen, dass Ihnen oft nur Klischee-Rollen angeboten werden. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
Das ist ein schwieriges Thema. Ich persönlich wurde nie rassistisch oder benachteiligt behandelt. Zumindest habe ich das nicht so empfunden. Trotzdem wurde teilweise ein gewisses Klischee bedient. Ich sehe so aus wie ich aussehe. Wenn ich dunkelhaarig bin, kann ich keinen Blonden spielen und andersherum. Als die Serie „4 Blocks“ gedreht wurde, war ich sehr froh, dass ich zu den Migranten gehöre, die solch eine Rolle spielen können. Allgemein hat sich in den letzten zwei Jahren viel in Richtung Diversität entwickelt. Ich habe kürzlich ein Projekt gedreht, bei dem waren praktisch nur Migranten am Start.
Gab es einen Punkt in Ihrer Laufbahn, seitdem Sie gefühlt nicht mehr als Schauspieler mit Migrationshintergrund besetzt werden, sondern einfach als Schauspieler?
Die Frage habe ich mir ehrlich gesagt noch nie gestellt. Das hängt auch mit der eigenen Wahrnehmung zusammen. Letztendlich ist es doch so: Die Rolle von einem Nazi-Offizier wird von mir einfach schwieriger zu spielen sein, weil ich faktisch nicht in die Rolle passe. Aber das gibt es auch andersherum. Zugegeben: Es gab schon einmal eine Rolle, für die ich besetzt wurde, die eigentlich Simon heißen sollte. Als ich dann dafür besetzt wurde, bekam die Rolle einen ausländischen Namen verpasst. Da frage ich mich schon: Muss das sein? Warum kann die Rolle nicht trotzdem Simon heißen? Aber letztendlich gibt es Rollenprofile. Wenn ein Pole oder ein Russe gespielt werden soll, braucht es einen Schauspieler, der dieser Rolle entspricht. Es kann nicht jeder alles spielen. Ich bin aber gespannt, welche Auswirkungen meine Rolle im Film von Fatih Akin haben wird. Für diesen Film habe ich mich physisch verändert, habe zugenommen und eine Glatze bekommen. So etwas ist in Deutschland eher selten. Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit dazu bekommen habe.
Interview: Oliver Jensen
Drei Tipps von Emilio Sakraya
– Entwickelt eine Routine: Gerade in der Zeit, in der meine berufliche Zukunft noch sehr unsicher war, ist das wichtig für mich gewesen. Ich war immer produktiv, bin früh aufgestanden, habe Sport gemacht und mir selber Aufgaben gestellt, die ich in der Woche erfüllen wollte.
– Spart euch falsche Bescheidenheit: Es ist in Deutschland sehr ausgeprägt, dass man keine hohen Ziele äußern soll. Viele Leute sagen immer, man soll nicht so vorlaut sein. Ich verstehe nicht, warum das so ist. Man darf ruhig selbstbewusst sein.
– Verliert nicht den Spaß an der Sache: Wenn man etwas erreichen möchte, wird man schnell energisch. Ich finde es besser, alles ein bisschen entspann
Als Sänger tritt Emilio Sakraya unter dem Namen „Emilio“ auf.
Demobandvideos auch von seinen internatonalen Produktionen für eingeloggte Caster und Produzenten in seinem CASTFORWARD-Profil